„Bei meinen Auren gehen viele davon aus, ich verarsche die.“ – ein Interview mit Lisa – Muräne Stories No.14

Lisa leidet seit ihrer Kindheit unter Migräne. Im Alltag und auch in der Freizeit beeinträchtigt sie die Erkrankung. Welche Erfahrungen Lisa gemacht hat und wie sie mit der Migräne umgeht könnt ihr hier erfahren.

  1. Hallo! Wer bist Du und was machst Du (beruflich) ?

Ich bin Lisa (22) aus Bayern und habe schon viele Fachrichtungen ausprobiert: sprachlich, sozial, gestalterisch und jetzt mache ich eine Ausbildung zur Fachinformatikerin Anwendungsentwicklung. [Instagram: bunzellisa]

Seit wann hast Du Migräne und welche Form?

Meine Migräne ist genetisch bedingt – wurde mir vererbt. Somit habe ich sie schon immer. Die ersten Anzeichen hatte ich als Kind, meistens ähnelten sie der Beschreibung eines Sonnenstichs, nur, dass ich selten ohne Kappe draußen war. Vom Neurologen bestätigt wurde meine Migräne August 2019. Im Befund steht auch etwas von „Spannungskopfschmerz Migränetyp“. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich an Migräne mit Aura leide, so wie mein Papa.

Wie äußert sich deine Migräne?

Meine Migräne hat sich in unterschiedlichen Lebensabschnitten auch unterschiedlich geäußert.
Als Kind: Habe mich oft Übergeben, hatte stechen im Kopf und Bauchschmerzen.

Als Teenie: Habe meist als erstes Buchstaben nicht mehr erkennen können/ nicht mehr lesen können, mir wurde schlecht/ schwindlig, hatte Kopfschmerzen.

Jetzt: Meistens tritt irgendeine Aura als erstes auf, bekomme danach ein leichte Stechen im Kopf, das immer stärker wird. Begleitet werde ich oft durch Bauchschmerzen und Darmproblemen (Reizmagen und Reizdarm habe ich auch).

Wie geht es Dir heute und wie hat sich dein Umgang mit der Migräne/ Erkrankungen verändert?

Durch Corona geht es mir psychisch nicht so gut und durch die Coronaerkrankung, die ich anfang Dezember 2020 hatte, geht es mir körperlich auch noch nicht so gut. Ich bin permanent erschöft und müde und habe merkwürdige Herzgeräusche, die ich noch beobachte, da ich Panikpatientin bin und oft vieles überinterpretiere.Da ich auch an diversen Persönlichkeitsstörungen, Depressionen und Angsstörungen leide, ist die momentane Situation einfach ätzend.


Nicht nur, dass die Migräne durch Stress getriggert wird, nein auch mein Reizmagen und der Reizdarm. Ich bin froh, wenn es immer nur eines von den dreien ist, aber oft sind es alle gleichzeitig. Ich muss in meiner Ausbildung alle aufklären und habe Angst verurteilt zu werden, weil ich als junger Mensch „ja nicht krank sein kann“. Aber nicht reden bringt auch nichts, weil wie soll man mir helfen können, wenn andere nix von meinem Leid wissen?

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?

Ich erzähle es oft nur dann, wenn es notwendig wird. Wurde auch schon von anderen relativiert und ignoriert, weil die „haben ja auch mal Kopfweh“. Bei meinen Auren gehen viele davon aus, ich verarsche die. 
Mit meiner Arbeit habe ich Gott sei Dank einen Glücksgriff gemacht, da Migräne die häufigste plötzliche Erkrankungsart ist, weswegen erst ab dem 3. Fehltag die AU per Mail vorhanden sein muss und nach 5 Werkstagen in der Firma. Somit habe ich keinen Stress, wenn ich mal wieder morgens mit einer heftigen Attacke aufwache.
Auch auf meiner Berufsschule habe ich beim Beratungsgespräch „Glück im Unglück“ gehabt. Mein Relilehrer war leider krank und konnte mir nicht Bescheid sagen, dass er doch nicht zum Gespräch kann. Die Lehrerin, die mir das mitteilite, fragte mich daraufhin, ob ich ein Problem hätte, das Gespräch mit ihr zu führen. Da es um die Migräne ging, war mir das egal, mit wem ich spreche. Und OMG diese Frau ist der Hammer! Sie selbst ist Migränikerin mit Auren und hat mir so ein gutes Gefühl gegeben. Seitdem fällt es mir einwenig leichter über Migräne zusprechen – Funfact, ich kann eher über meine Psychisch dunkelsten Zeiten sprechen als über Migräne mit Aura.

Was machst Du freizeitlich und wie beeinflusst dich da deine Erkrankung (oder beeinflusst die dich da überhaupt?)?

Ich zocke gerne, kann aber nicht jedes Game spielen, weil mich Lichtreflexe triggern könnten und oft kann ich auch gar nicht spielen, weil die Monitore einfach zu hell sind, selbst wenn diese ganz dunkel eingestellt sind. Die meisten Spiele spiele ich ohne Sound, einfach um Reize zu vermeiden.

Wenn ich zocke, streame ich das auch gerne auf Twitch. Das gibt mir viel Kraft und positive Energie, wodurch ich wesentlich gelassener bin. Es sorgt auch dafür, dass mein Tagesablauf organisierter ist. Und hilft mir auch in Zeiten von Corona und Social Distancing tortzdem Kontakt zu Leuten habe.

Mein Musikgeschmack war schon immer sehr rockig. Aber im Teenie Alter wurde dieser noch krasser: Metal. Bis 2018 konnte ich auf Grund der Migräne nicht Headbangen, aber ich habe gelernt mit ihr besser umzugehen und kann jetzt – zwar nicht immer – aber immer dann, wenn ich auf Konzerten oder Festivals bin, meinen Kopf shaken.

Und wenn Corona nicht die Extremsituation auslösen würde, wäre ich wöchtenlich auf der Feuerwehr um unseren Übungsdienst zu machen. Ich bin seit 2011 dabei und hatte von Anfang an mega Spaß. Ich konnte sogar an Jugendwettkämpfen teilnehmen, auch wenn ich mal Migräne hatte. Seit ich von der Jugend zu den Erwachsenen übergetreten bin, mache ich aber nicht mehr so viel. Nur noch im Notfall. Andere kennen sich besser aus als ich und da meine Migräne v.a. durch Stress getriggert wird und Lichtreflexe, habe ich einfach Angst, dass ich vom Helfer zum Opfer werde. Würde es aber Not am Mann geben, wäre ich sofort zur Stelle.

Ich Cosplay gerne und schminke mir Grimassen ins Gesicht. Selbst mit Migräne funktioniert das oft ganz gut, außer sie haut mich komplett um.

Was hilft dir im Umgang damit? Was hilft dir bei akuten Anfällen? Was hast du ausprobiert?

Mir hilft Thomapyrin Tension Duo 400mg (Wirkstoff Ibu + Coffein), möchte aber umstellen, da ich MAgen-Darm-Probleme habe und das nicht noch mehr reizen möchte. Nehme die Tabletten dann, wenn ich eine heftige Aura habe und wenn der Schmerz unerträglich wird. Ibu alleine hilft mir mit morgens und abends je 800mg (minimum) und so kann das nicht weiter gehen.
Ich habe den Tipp bekommen, dass Hanföl hilft. Habe mir also 5%iges geholt, das hilft aber leider nicht. Habe im Februar 2021 einen Termin bei einem neuen Neurologen und hoffe, dass dieser mir weiterhelfen kann und mich beraten kann.

Neben den Tabletten, versuche ich mich in einem abgedunkeltem Raum hinzulegen, Augen zu schließen – am besten mit etwas kaltem auf der Stirn und alle Geräusche so gut es geht zu entfernen. Mein Freund macht meistens auch das Fenster auf und geht wo anders hin, damit nicht noch mehr Sinneseindrücke auf mich zu kommen. Während ich da liege versuche ich einfach zu schlafen, falls es möglich ist.

Etwas, das Du anderen Betroffenen sagen möchtest?

Ihr seid Individuen. So unterschiedlich wie jeder Mensch ist, so unterschiedlich ist auch die Migräne. Jede*r hat einen anderen Körper, der anders auf Medikamente und Maßnahmen reagiert. Egal welche Art der Migräne ihr habt, niemand hat schlimmer bzw. weniger schlimm Migräne. Migräne hat nichts mit Kräftemessen zu tun. Migräne ist eine Erkrankung. Bei Depressionen sagt man ja auch nicht „Der ist aber depressiver als die da“.

Etwas anderes, dass Du noch erzählen möchtest?

Ich muss sagen, dass mir auch eine Psychotherapie sowie eine Verhaltenstherapie sehr geholfen haben, meine Migräne und mich zu verstehen. Deshalb würde ich jeder Person empfehlen, v.a. eine Verhalenstherapie zu machen. Manche Psycholog*innen sind sogar auf Migräne spezialisiert.

Vielen Dank für das ausführliche und ehrliche Gespräch!




3 Kommentare zu „„Bei meinen Auren gehen viele davon aus, ich verarsche die.“ – ein Interview mit Lisa – Muräne Stories No.14

  1. „Egal welche Art der Migräne ihr habt, niemand hat schlimmer bzw. weniger schlimm Migräne. Migräne hat nichts mit Kräftemessen zu tun. Migräne ist eine Erkrankung. Bei Depressionen sagt man ja auch nicht „Der ist aber depressiver als die da“.“
    Das, das, das.

    Bei meiner ersten Migräneattacke (die zudem auch noch richtig übel war…) war ich der Überzeugung, das könne ja keine Migräne sein. Weil: ich war ja noch in der Lage, zwei Stunden lang eine Veranstaltung mit vielen Geräuschen, Lichtern, Publikum zu moderieren. Und mir war ja nicht schlecht, und „wenn xy Migräne hat, muss der sooofort ins Bett und kann gaaar nichts mehr machen, und alle, die ich kenne, kotzen bei Migräne“ seufz
    Danke für den reminder, euch beiden. ❤

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