Zielstrebigkeit und Ziellosigkeit – Eine Kurzgeschichte

Vor gut 3 Jahren habe ich diese Kurzgeschichte geschrieben, als ich mich fast selbst verloren habe. Nur weil mir alle von außen eingeredet oder ausgeredet haben, wie ich zu leben habe. Ich habe damals mein erstes Studium abgebrochen und stehe auch heute noch hinter dieser Entscheidung. Aber lest selbst und vielleicht werdet ihr inspiriert euer Leben zu verändern!

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Fliege. Fliehe. Sei frei. Ein Weg. Zwei Wege. Unendlichkeit. Zielstrebigkeit kann eine Stärke sein, ein Leitfaden, Zielgerichtetes Denken. Es kann aber auch ein Hindernis sein. Blockieren. Zielstrebigkeit ohne Ziel nennt man ziellos. Und Ziellosigkeit ist negativ.

Es ist wieder einer dieser Tage an dem nichts geht. Man am Schreibtisch sitzt und wartet, dass der Wind sich dreht. „Huhu träumst Du?“ Hochgeschreckt und leicht irritiert lasse ich mir von meiner Kollegin eine Tasse Tee in die Hand drücken. „ Alles gut bei dir?“ . Ich nicke. Ich kann es kaum erwarten, dass sie mir wieder ihre Lebensgeschichte erzählt. Meine Mit-Fünfzigerin-Arbeitskollegin wendet sich jetzt ihrem eigenen Tee zu. In Gedanken zähle ich von zehn runter. 10…9…8….7… Und bei 6 fängt sie wieder an einen Schwachsinn zu brabbeln, während sie ein Zuckerstückchen nach dem anderen in ihre Tasse plumpsen lässt. „Und dann sind sie einfach ausgezogen… ja der Timo ist schon ganz nett zu der Susanne… ja, das glaube ich auch…“ Und kaum bin ich auch schon wieder in meinen eigenen Gedanken vertieft. Rühre gedankenverloren durch meinen Holunderbeere-Tee ohne Zuckerstückchen. Es kann sich ja nicht jeder den Tag versüßen. Hier bin ich also gelandet. In einem Großraumbüro. In einer riesigen Firma. Nicht mal der Schreibtisch ist mein Reich. Lieselotte die Tratschtante sitzt mir jeden Tag gegenüber. Naja, man kann sich dran gewöhnen. Ab und an mal lächeln oder nicken, dann denkt sie ich höre zu.

Klatsch. Ein übergroßer Stapel Akten fällt aus gefühlten zehn Metern direkt vor meine Nase auf die Tastatur. „Das brauche ich bis morgen“ Ein gnadenloser Blick und schon zieht die intrigante Stöckelschuhziege mit lautem Geklacker in Richtung Aufzug ab. Na danke auch. Immerhin hat Tante Lieselotte jetzt auch wieder etwas zu tun. Jeden Tag die gleiche Arbeit. Der gleiche Ablauf. Die gleichen Aufgaben. Routine. Sau langweilige Routine.

Wo ist mein Ehrgeiz hin? Wo bin ich hier bitte gelandet? Und wann holt mich das nächste Flugzeug wieder ab?

Ich schaue an mir herunter. Grauer Blazer, weiße Bluse, graue Hose, schwarze Schuhe, weiße Socken. Ich schaue nach rechts. Weiße Schreibtische auf grauen Teppich, Anzugträger auf schwarzen Stühlen. Die ein oder andere schwarz-weiß-karierte Krawatte. Schwarze Röcke, schwarze Brillen. Blasse Gesichter. Starre Blicke. Ich schaue nach links. Dunkle Teppiche, Weiße Raufasertapete, grauer Stahlaufzug, graue Bilderwand der Betriebshistorie. Weiße Tassen, schwarze Kugelschreiber. Weiße Fensterrahmen, schwarze Vögel auf dem Fensterbrett. Weiß. Schwarz. Weiß. Schwarz. Grau. Weiß. Schwarz. Grau.

S T O P

Habe ich dies tatsächlich gerade laut ausgerufen? Schock erstarrt, schwitzend sitze ich aufrecht im Bett. „Was ist denn?“ Murmelnd reibt sich mein Mann die Augen. „Nichts, alles gut“. Er dreht sich um. Und in mir dreht sich auch alles um. Nichts ist gut. Es ist alles grau. Zitternd schleiche ich ins Ankleidezimmer und öffne meinen Schrank. Weiße Blusen reihen sich an schwarzen Blazern. Ich greife nach jedem Stück und werfe es auf den Boden. Wo sind meine Farben hin? Ich sehe nur noch schwarz-weiß-grau. Wer der Schrank schon immer schwarz? Wer hat die Möbel eigentlich ausgesucht?

Vom Ankleidezimmer gehe ich leise ins Bad. Es ist dunkel. Das Licht ist kaputt. Nur ein kleiner Lichtkegel der Straßenlaterne kommt durchs Fenster. Die Gitter vor dem Fenster werfen große Schatten in das großflächig weiß geflieste Bad. Ich öffne den Wasserhahn und lasse das kalte Wasser über meine Handgelenke fließen. Dann drehe ich den Wasserhahn wieder zu. Jeder kleine Tropfen platscht laut in das marmorierte Waschbecken. Der Spiegel ist beschlagen, ja sogar milchig, obwohl niemand zu vor geduscht hat. Ich kann mich gar nicht sehen.

Gänsehaut. Ich friere und verlasse daraufhin das Bad. Knatschend öffne ich die Tür zum Schlafzimmer. Und schaue verdutzt ins Zimmer. Kein Bett. Kein Licht. Kein Tisch. Kein Mann. Es ist leer. Leer und schwarz. Ich schaue nach hinten. Der Flur ist weg. Das Bad ist weg. Es ist alles nur noch schwarz.

Stille. Ich schließe die Augen. Jetzt tief durchatmen und ruhig bleiben. Zittrig umklammere ich die Türklinke und stelle mir vor wie meine Knöchel in diesem Moment weiß hervortreten. Ich umschließe die Tür mit meinen Armen und suche nach Halt. Ich wanke und stolpere. Fast wäre ich gefallen. Energisch hake ich mich mit meinen Fingernägeln in der Raufasertapete in meiner Wohnung ein. Ähnlich wie beim Klettern rutsche ich jetzt mit imaginärem Sicherungsseil an der Wand entlang. Runde für Runde. Stunde für Stunde. Die Tür finde ich nicht wieder. Die Wohnung ist ein Kreis. Ich bin erschöpft. Alleine und erschöpft.

Ruhig bleiben. Augen zu. Lasse ich die Wand los. Jetzt stehe ich aufrecht im Raum. Im schwarzen Nichts. Arme verschränkend merke ich wie der Boden wackelt. Ich versuche ihn mit meinen Händen zu berühren. Doch ich greife ins Leere. Der Raum ist leer. Es gibt kein links, rechts, oben und unten mehr. Bin ich tot? Ich atme tief ein und aus. Ich zwicke mich selbst. Alles wie immer. Ich bin normal. Nur mein Umfeld nicht. Alles ist weg.

Aber ich bin noch da. Ich bin lebendig. Ich sehe gedanklich meine Wohnung. Meinen Mann. Eine Blumenwiese. Einen Sonnenaufgang am Strand. Den Park. Die Stadt. Frühling. Sommer. Herbst. Winter. Ostern. Halloween. Silvester. Geburtstag. Ich sehe mich. Schreibe. Lese. Zeichne. Reise. Träume. Lebe. Ich bin da.

Ich stelle mir ein Seil vor. Es ist zwischen zwei großen Bäumen von großer Distanz gespannt. Ich habe keine Schuhe an. Das braune Seil kitzelt unter meinen Füßen. Es scheint stabil. Langsam setze ich einen Fuß vor den nächsten. Huch, ein leichter Windstoß wirbelt mein rotes Kleid ein Stück hoch. Meine braunen Haare bewegen sich mit dem Wind. Ich spüre Wärme auf meiner blassen Haut. Die Sonne scheint. Ich balanciere freihändig. Ohne Hilfe. Unabhängig. Frei. Noch ein kleines Stück dann habe ich es geschafft. Fuß vor Fuß. Schritt für Schritt. Zielstrebig.

[Erklärung der Anna von vor 3 Jahren]: Warum diese Geschichte? Ich bin davon überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, wo ich mich um mich kümmere. Auf mich konzentriere und die Umwelt einfach mal ausblende. Ich bin jetzt in der Situation, dass ich die eine Entscheidung für meine Zukunft treffen muss. Ständig reden mir alle Leute ins Gewissen, was ich tun oder lassen soll. Ratschläge hier, Tipps da. „Das kannst Du nicht“. „Das schaffst Du nicht“. „So bist Du nicht“. Eine lange Zeit schon lasse ich mich verunsichern, was ich mit meinem Leben anstellen soll. Jeden Tag beerdige ich neue Ideen. Schreibe neue Pro und Contra-Listen. Suche weiter nach der perfekten Lösung. Und es ist sehr anstrengend. Ich bin so ähnlich wie die Person aus meiner Geschichte. Ich bin zielstrebig, aber auch ziemlich ziellos und orientierungslos. Und das Beste um aus diesem Dilemma zu entfliehen? Alles loslassen! Augen zu. Atmen. Nur Du selbst kannst dir sicher sein, was für dich das Richtige ist. Denn das spürt man! Wenn es für Dich passt, dann ist es richtig. Es muss sich gut anfühlen. Allein das Loslassen ist Überwindung und Mut genug.

Erstaunlich wie eine persönliche Situation spontan um halb 2 morgens eine kleine Geschichte entstehen lässt.

Mich würde sehr freuen, wenn ihr mir in den Kommentaren mitteilt wie ihr die Geschichte findet. Vielleicht schreibe ich jetzt wieder häufiger Kurzgeschichten. 🙂 Und falls sich kleine Rechtschreibfehler eingeschlichen haben sollten, bitte ich dies zu entschuldigen. (Alle Rechte am Textmaterial verbleiben bei mir)

Liebe Grüße,

Anna

Ein Kommentar zu “Zielstrebigkeit und Ziellosigkeit – Eine Kurzgeschichte

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