„Der Umgang mit mir selber und anderen Menschen ist sehr viel liebevoller geworden.“ – Interview mit Katrin – Muräne-Stories No.22

Katrin leidet seit Jahren unter Migräne. Ihre Migräne ist schwergradig, sie ist durch sie behindert. Wie sie ihr Leben damit lebt und vor allem wie ihr ein ONS dabei hilft, heute im Interview.

Wer bist Du und was machst Du (beruflich)?

Mein Name ist Katrin, ich bin 35 Jahre alt und lebe mit meinem Partner im Münsterland. Von Beruf bin ich Gynäkologin, aktuell leider krankgeschrieben. Aufgrund meiner Erkrankung habe ich einen Schwerbehindertengrad von 50%. [Katrins Instagram-Profil findet ihr hier @wunder_baer

Welche Migräneform hast du? Wie äußert sich deine Migräne?

Ich leide seit der Pubertät unter Migräne ohne Aura, seit 5 Jahren unter chronischer Migräne. Ich habe mittlerweile rund um die Uhr Kopfschmerzen, entweder Migräne oder Spannungskopfschmerzen. Häufig fällt es mir schwer genau auseinander zu halten, was nun gerade mehr da ist. Migränetage im Monat habe ich durchschnittlich 20-25. Vor allem an Migränetagen habe ich auch Übelkeit und bin sehr sensibel auf verschiedene Reize. Für mich am Schwierigsten ist, dass ich auch zwischen den teils sehr langen Attacken keine schmerzfreie Pause mehr habe, ich fühle mich seitdem häufig überfordert, erschöpft, ängstlich und depressiv. Bei Migräne helfen Triptane leider nur noch bedingt und kurz, die Spannungskopfschmerzen sprechen auf die Standardschmerzmittel Ibuprofen, Naproxen, Novalgin ect. überhaupt nicht an. Aufgrund der mangelnden Wirksamkeit versuche ich mittlerweile weitestgehend auf Schmerzmittel zu verzichten.

Seit wann leidest du unter Migräne? Wie hat sich die Migräne verändert?

Wie oben erwähnt kenne ich Migräne seit der Pubertät. Über die Jahre hat sich die Frequenz langsam gesteigert. Während meines Medizinstudiums hatte ich bereits 1-2 Migräneanfälle pro Woche. Da Triptane noch sehr effektiv gewirkt haben, habe ich damals keine Notwendigkeit gesehen mein Leben an die Erkrankung anzupassen. Auch meine behandelnden Neurologen waren leider eher entspannt. Dass eine Migräne auch chronifizieren kann, war mir unbekannt. Mit 26 Jahren hatte ich meinen ersten stationären Aufenthalt und Schmerzmittelentzug in der Schmerzklinik Kiel. Der Wunsch ein normales Leben ohne Einschränkungen leben zu können war damals noch sehr groß. Ich habe anschließend 3 Jahre Vollzeit im Schichtdienst gearbeitet und habe während der Zeit an ungefähr 6-8 Tagen im Monat Triptane genommen. „Plötzlich“ wurden die Kopfschmerzen chronisch, es folgten einige weitere stationäre Aufenthalte mit allen aktuell vorhandenen medikamentösen Therapieversuchen und nun schließlich in diesem Jahr die ONS Implantation Im UKSH Lübeck.

Wie geht es Dir heute und wie hat sich dein Umgang mit der Migräne verändert?

Obwohl ich jetzt leider immer noch permanent unter Kopfschmerzen und Migräne leide, bin ich aktuell viel glücklicher und zufriedener mit meinem Leben, als ich es früher war. Ich habe mit der Zeit eingesehen, dass ich nicht so leistungsfähig bin, wie viele meiner Arbeitskollegen. Ich habe versucht die Bedingungen im Job zu optimieren, raus aus dem Schichtdienst, regelmäßige Arbeitszeiten, nur 20 Stunden pro Woche. Leider brauche ich immer wieder sehr lange Erholungsphasen, so dass ich durch lange Fehlzeiten immer wieder Arbeitsstellen verloren habe. Aktuell bin ich krankgeschrieben und es ist auch unklar wie es beruflich weitergeht. Erwerbsminderungsrente ist leider bei meinem Job nicht vorgesehen, Ärzte haben zu funktionieren – ganz oder gar nicht – das macht mich traurig. Das Thema Berufsunfähigkeit beschäftigt mich viel, aber aktuell möchte ich versuchen wenigstens in einem kleinen Umfang beruflich tätig zu bleiben, ich mag meinen Job sehr.

Im Umgang mit der Migräne habe ich im Laufe der Jahre verschiedene Dinge lernen müssen. Man kann die Schmerzen auch mit noch so viel Schmerzmitteln nicht wegzaubern und es macht Sinn relativ früh in der Schmerzkarriere zu schauen, was günstige Lebensbedingungen sind und was zu viel oder sogar dysfunktional ist. In den letzten Jahren ist dann bei mir ein ungünstiger Effekt in die andere Richtung eingetreten: Mein Bedürfnis mich zu schonen und die Angst vor den Schmerzen ist zu groß geworden. Ich war ständig nur darum bemüht mich abzuschirmen und Migränetrigger zu vermeiden. Ich denke die Angst vor den Schmerzen hat sich bei mir verselbstständigt und wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung verstärkt fast jegliche Aktivität vor allem mit anderen Menschen die Schmerzen. Jetzt bin ich in der unkomfortablen Situation, dass ich lernen muss trotz Migräne und gegen meinen inneren Widerstand wieder mehr zu unternehmen, mehr in sozialen Kontakt zu gehen.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?

Es hat bei meinem Umfeld etwas gedauert zu verstehen, dass ich eine ernste und vor allem sehr beeinträchtigende Erkrankung habe. Ich musste es ja auch erst selber einsehen. Insgesamt erfahre ich aber sehr viel Verständnis und Unterstützung, was mich unglaublich rührt und glücklich macht. Besonders dankbar bin ich meinem Partner, dass er mich so nimmt und liebt wie ich bin und die Einschränkungen akzeptiert.

Was machst Du freizeitlich und wie beeinflusst dich da deine Erkrankung (oder beeinflusst die dich da überhaupt?)?

Meine Freizeit ist wohl der Punkt, der am Stärksten durch die Migräne leidet. Ich versuche dennoch das Beste daraus zu machen und kreativ auszuprobieren, was ich auch trotz Migräne machen kann. Ich bin sehr viel alleine zu Hause, aber ich kann es häufig genießen, ich meditiere, male, höre Hörspiele, Podcasts.. Mit Freunden oder Familie treffen habe ich leider sehr stark reduzieren müssen. Häufig muss ich auch lange geplante Treffen am Ende doch spontan absagen. Sport im klassischen Sinn ist leider im Moment gar nicht möglich, körperliche Anstrengung triggert wenn nicht eh schon vorhanden sofort eine Attacke. Trotzdem habe ich ein für mich angepasstes Sportprogramm entwickelt, bestehend aus einfachen Yoga/Dehnübungen und ein paar Übungen zur Kräftigung/Lockerung der Nacken und Rückenmuskulatur. Ich bin sehr gerne draußen in der Natur und mache häufig kurze Spaziergänge. Wenn die Schmerzen es zulassen unternehme ich an den Wochenenden mit meinem Freund kleinere Wanderungen. Auch wenn ich hier nicht so frei tun kann was ich gerne würde (früher bin ich gerne joggen und ins Fitnessstudio gegangen, habe sogar mal eine Bergwanderung auf den Kilimandscharo unternommen), versuche ich dankbar zu sein für die Dinge, die ich noch machen kann.

Was hilft dir im Umgang damit? Was hilft dir bei akuten Anfällen? Was hast du ausprobiert?

Akut bei schweren Migräneattacken hilft mir in der Regel am besten Ruhe und Zeit, manchmal auch entspannte reizarme Ablenkung. Neuroleptika und Vomex dämpfen ein bisschen die Schmerzen, auch Kühlpacks unterstützen manchmal. Wie gesagt Schmerzmittel nehme ich kaum noch ein. Langfristig sind von allen Dingen, die ich ausprobiert habe, für mich Meditation und Buddhismus die hilfreichsten Skills geworden. Die buddhistische Lehre und die spirituellen Freundschaften haben mich ganz neu motiviert dysfunktionale Muster zu durchbrechen und durch Achtsamkeitstraining und Mediation habe ich entdeckt wie unglaublich schön es sein kann, wenn man ruhig, entspannt ist und die Gedanken nicht so rasen. Der Umgang mit mir selber und anderen Menschen ist sehr viel liebevoller geworden. Ich bin zufriedener und glücklicher, trotz der Schmerzen.

Außerdem ist mir klargeworden, wie wertvoll dieses Leben ist und dass ich es auch mit meinen Schwierigkeiten nutzen möchte und nicht nur im Mitleid versinken will.

Wie ist das Gefühl, einen ONS zu tragen? Was macht das Gerät?

Meine ONS Operation war am 03.11.2020, also erst vor gut 2 Monaten. [Das Interview ist von Januar 2021]. Durch permanente oder im Intervall ausgesendete Stromimpulse unter der Haut am Hinterkopf soll langfristig das Schmerzgedächtnis umprogrammiert werden und die Schmerzen nachlassen. Die direkt postoperative Phase war für mich ganz schrecklich, durch die Manipulation war mein neurologisches System so gereizt, dass ich für ca. 3 Wochen die schwersten Migräneattacken meines Lebens hatte. Das ist nun zum Glück wieder etwas besser. Die Stellen, wo die Kabel verlaufen, sind leider noch schmerzhaft, das Kribbeln am Hinterkopf ist neutral bis angenehm. Ob mir das Gerät langfristig helfen wird, kann man aktuell noch nicht sagen. Aktuell spüre ich leider noch keine Erleichterung. Ich finde es gut, dass es sich hierbei um eine Therapieform ohne Chemie sprich Medikamente handelt und bleibe gespannt.

Warst Du vor der ONS-OP aufgeregt und was hat Dich beruhigt?

Hätte ich gewusst, wie schrecklich die Migräne nach der Operation explodiert, wäre ich mit Sicherheit aufgeregter gewesen. So war ich eigentlich recht ruhig. Mir leuchtete das Prinzip des Gerätes ein. Außerdem hatte ich ein sehr beruhigendes Telefonat mit einer Frau, die vor ein paar Jahren recht erfolgreich die Operation überstanden hatte. Das hat mir Mut gemacht und ich habe versucht den bestmöglichen Verlauf auch bei mir anzunehmen.

Etwas, das Du anderen Betroffenen sagen möchtest?

„Wenn im Außen keine Heilung zu finden ist, dann wende dich nach Innen.“

Ich habe mittlerweile verstanden, dass kein Neurologe und keine Therapie der Welt meine Erkrankung heilen kann. Viel zu Lange habe ich dieses und jenes ausprobiert, immer wieder neue Therapieansätze, neue Medikamente, neue Hoffnung neue Enttäuschungen. Für mich trifft der Satz „ach das kann doch nicht schaden, wenn du das mal ausprobierst“ leider nicht zu. Jede neue Therapie ist für mich aufwühlend, kostet wertvolle Zeit und ist zum Teil auch noch kostspielig. 5 Jahre hat es gebraucht, dass ich nun nicht mehr darauf warten möchte, dass die Schmerzen irgendwann in der Zukunft besser werden – ich habe lang genug gewartet – nun möchte ich lernen im Hier und Jetzt auch mit den Schmerzen ein glückliches und erfülltes Leben zu leben.

Was mir von allen Therapieformen am Meisten geholfen hat sind nicht die unzähligen Medikamente, sondern Meditation, Achtsamkeitstraining, Reflexion und Unterstützung durch Psychotherapie.

Ich denke, dass nicht jede Therapieoption für jeden geeignet ist und ich kann euch nur empfehlen nicht verzweifelt alles zu versuchen, sondern euch auf die Dinge zu fokussieren, wo ihr ein gutes Gefühl habt – das spart Nerven und Geld.

Etwas anderes, dass Du noch erzählen möchtest?

“take a break, before you break”

“better done than perfect”

Für mich sehr hilfreiche Begleiter geworden.

Ich wünsche euch allen das Beste, versucht das zu tun, was euch wirklich glücklich macht!

Ein Kommentar zu “„Der Umgang mit mir selber und anderen Menschen ist sehr viel liebevoller geworden.“ – Interview mit Katrin – Muräne-Stories No.22

  1. „Wenn im Außen keine Heilung zu finden ist, dann wende dich nach Innen.“ – Ein beeindruckend sinnvoller Satz. Danke für das hochinteressante Interview.

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