„Es ist keine Schande, bei einer chronischen Erkrankung Tabletten zu nehmen!“ – Interview mit Kathrin- Muräne-Stories No.45

Mein Name ist Kathrin, ich bin 43 Jahre alt. 2-fache Mutter und komme aus Bayern. Ich habe Betriebswirtschaft studiert und nach dem Ende meines Studiums ausschließlich im Marketing gearbeitet. Zunächst als Produktmanagerin für Babyartikel, danach im Marketing in der Finanzbranche.

Seit der Grundschulzeit mit ca. 8 oder 9 Jahren leide ich an episodischer Migräne. Als Kind zunächst eigentlich immer mit starken Schmerzen und Erbrechen. Meist bin ich irgendwann vor lauter Erschöpfung durch das viele Erbrechen und die starken Schmerzen eingeschlafen und dann schmerzfrei wieder aufgewacht. Tabletten (Kinder-Aspirin waren das damals) haben mir meine Eltern nur sehr selten gegeben, mit meiner Krankheit haben sie sich nie wirklich auseinandergesetzt. Unser Ansprechpartner war mein Kinderarzt, bei einem Neurologen war ich damals nie. Ich hatte eben Migräne… wenn ich mal wieder „Kopfschmerzen“ hatte, sollte ich mich hinlegen-das konnte auch mal einfach auf der Eckbank im Restaurant oder im Auto sein… Extra nach Hause gegangen ist niemand mit mir.

Ich habe auch leider nie gelernt, meine Krankheit zu akzeptieren und mich damit zu arrangieren. Das Einzige, was ich immer gehört habe war „Keine Ahnung, wo das herkommt. Bei uns in der Familie hatte das noch nie jemand!“ Zu Schulzeiten war es oft ganz schlimm, ich lag viele Nachmittage im Bett, während die anderen Kinder draußen gespielt haben. Auch im Studium war es nicht besser: War die stressige Lernphase endlich beendet und waren alle Prüfungen geschrieben, gingen meine Kommilitonen feiern und ich lag mit Migräne flach. Die ersten Urlaubstage: Endlich Frühling/Sommer und wieder wärmeres Wetter, ich konnte das alles oft nicht genießen. Ich hatte aber zum Glück auch bessere Phasen, in denen ich mehrere Wochen Ruhe hatte. In meinen beiden Schwangerschaften hatte ich z.B. keine Migräne, das war ein Segen, dafür dann aber danach jeweils wieder mit voller Wucht! Eine schreckliche Zeit, wenn man sich nebenbei um kleine Kinder kümmern muss und keine Hilfe hat! Seit circa 3-4 Jahren hat sich meine Migräne stark verschlimmert, die Häufigkeit ist gestiegen und die Lebensqualität wurde sehr stark eingeschränkt. Auch in ihrer Form hat sich die Migräne sehr verändert. Ich kenne mittlerweile unglaublich viele, sehr unangenehme Facetten dieser tückischen Krankheit. Manchmal bin ich tagelang komplett ausgeknockt und habe gerade mal Kraft, mich zur Toilette zu schleppen. Das führt dann nicht selten dazu, dass ich zusätzlich von starken (Krankheits-)Ängsten geplagt werde. Ich habe mit meiner Neurologin mittlerweile mehrere Prophylaxen ausprobiert und nehme jetzt seit Mai 2020 eine medikamentöse Prophylaxe, die mir bis vor zwei Monaten wirklich super geholfen hat. Außerdem betreibe ich seit inzwischen fast drei Jahren regelmäßig Ausdauersport. Begonnen habe ich 2018 mit walken, seit einem Jahr gehe ich mehrmals in der Woche joggen und mache zudem seit 5 Jahren regelmäßig Yoga.

Erfolglos probiert habe ich: Pestwurz, Migradolor, Migravent, Magnesium (auf Migravent, migradolor und reines Magnesium reagiere ich mit heftigen Bauchschmerzen), Gingko, Kurkuma, Zahnschiene/Knirscherschiene, da ich sehr stark „presse“, Magnesium-Gel, Akupunkturmassage
quaddeln, Topiramat, Flunarizin Was mir unterstützend hilft, indem es mir einfach insgesamt sehr gut tut (ich bin nämlich außerdem auch immer wieder von starken Verspannungen und Wirbelblockadem geplagt):Yoga, (Mehr oder weniger regelmäßige) Physio, Taping, Regelmäßige Osteopathie-Termine , Akupunktur und die Gespräche mit meiner ganzheitlichen Akupunktur-Ärztin und meiner, auch von Migräne betroffenen, Neurologin, B-Vitamine, Akupressurmatte, Autogenes Training.Ansonsten versuche ich, halbwegs regelmäßige Schlafzeiten einzuhalten (bin ich nicht gut darin), ausreichend zu trinken und regelmäßig (manchmal auch nochmal vor dem Schlafen gehen) zu essen und ganz viel an die frische Luft zu gehen. Und auch der Kaffee oder schwarze Tee darf nicht fehlen. Ich ernähre mich sehr gesund und ausgewogen (Kohlenhydratreich) und versuche, mit möglichst wenig Zucker auszukommen. Als Prophylaxe nehme ich übrigens einen BetaBlocker (trotz niedrigen bis normalen Blutdruck) in Verbindung mit einem AD (beides nicht in der Zieldosis, sondern deutlich weniger). Ein Vorteil ist, dass ich mit dieser Kombination auch sehr gut schlafen kann! Nebenwirkungen sind, dass ich durch den Betablocker starke Probleme mit meinen Augen habe (sehr trocken und gereizt: Ich muss jetzt immer Tropfen zur Befeuchtung nehmen) und insgesamt ca 4 kg zugenommen habe. Außerdem habe ich manchmal das Gefühl, ziemlich kurzatmig zu sein. Noch nicht probiert habe ich die Antikörperspritze und Botox. Ich weiß nicht, ob die Wirkung der Medikamente tatsächlich nachgelassen hat oder ob die äußeren Einflüsse (Stress, psychische Belastung) aktuell so groß geworden sind, dass die Wirkung leider im Moment nicht mehr allzu gut ist?! Gerade ist alles etwas viel! Ich hoffe jedenfalls, dass es sich bald wieder in die andere Richtung wenden wird! Mein Umgang mit der Migräne hat sich dahingehend verändert, dass ich mich in den letzten 3-4 Jahren sehr intensiv mit der Krankheit auseinandergesetzt habe, viel gelesen/recherchiert habe, Kontakte zu anderen Betroffenen geknüpft habe (der Austausch ist für mich Gold wert!) und mich in Akzeptanz üben konnte. Das gelingt mir nicht immer gleich gut, ist aber schon deutlich besser geworden. Mein Mann und meine Kinder (meine Tochter ist leider auch seit der zweiten Klasse betroffen) kennen die Krankheit mit all ihren Gesichtern und unterstützen mich sehr, indem sie sich an diesen Tagen sehr liebevoll um mich kümmern und mir die Zeit und Ruhe geben, die ich benötige, bis ich die Attacke überstanden habe. Außenstehende reagieren ganz unterschiedlich. Es gibt, wie überall, sehr empathische Menschen, die vielleicht sogar auch jemanden mit dem gleichen Schicksal kennen, es gibt aber auch Menschen, bei denen man den Eindruck hat, sie halten Migräne für eine schlechte Ausrede oder ein psychisches Leiden. Im Umgang mit der Migräne hilft es mir, mich sofort rauszunehmen, mich hinzulegen und mir viel Ruhe zu gönnen. Im Akutfall nehme ich Zolmitriptan, das hilft mir meist sehr gut. Früher habe ich lange Zeit 600 mg Ibuprofen aber auch schon Sumatriptan eingenommen. Bevor ich allerdings Tabletten nehme, probiere ich es, sofern es möglich ist, oft auch erst mit Ruhe, Kühlpad, Pfefferminzöl oder CBD Tropfen, bevor ich zur Chemie greife. Ansonsten helfen mir tatsächlich nur Triptane, Ruhe, Dunkelheit und ein Kühlpad. Anderen Betroffenen würde ich Folgendes mit auf den Weg geben: Es ist keine Schande, bei einer chronischen Erkrankung Tabletten zu nehmen! Gönnt Euch so viel Ruhe, wie ihr braucht und nehmt Euch rechtzeitig raus! Steht für Euch ein-auch, wenn es oft anstrengend ist und man immer das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen. Scheut Euch nicht, andere um Hilfe zu bitten! Quält und zwingt Euch zu nichts! Absagen/nach Hause gehen ist ok. Es wird Euch eh keiner danken, wenn Ihr Euch quält!

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