„Hört auf euren Körper und gesteht euch ein, wenn mal nichts mehr geht“. – Interview mit Marie – Muräne-Stories No.47

Hier kommt die Geschichte von Marie und dem Zusammenleben mit der Migräne.

Wer bist Du und was machst Du?

Ich bin Marie, 30, lebe in Hamburg und bin Videotechnikerin und -produzentin. Ich habe einige Jahre am Theater gearbeitet, habe dort aber 2019 aus mehreren Gründen gekündigt – die Migräne war einer davon. Ich hatte im Proben- und Vorstellungsbetrieb wechselnde Schichten, habe mal um 8 angefangen, mal bis 24 Uhr gearbeitet, mal beides. Das fand mein Kopf nicht so prickelnd. Danach habe ich an der Uni gearbeitet und ein geregelteren Alltag gehabt, was einen positiven Einfluss auf die Migräne hatte. Aktuell mache ich mich mit einem Partner selbstständig im Bereich Videoproduktion/Livestreaming. Warum ich mich das trotz Migräne endlich traue, schreibe ich weiter unten. [Instagram: @marie_eis]

Seit wann hast Du Migräne (und welche Form)? Wie äußert sich deine Migräne?

Die Schmerzen haben klassisch mit der Pubertät begonnen, allerdings hat es dann noch 5 Jahre gedauert bis ich die Diagnose Migräne hatte. In der Zwischenzeit war ich bei mehreren Ärzten und habe verschiedene Dinge ausprobiert. Meine Freunde haben damals irgendwann geglaubt, die ständigen Kopfschmerzen seien nur eine Ausrede.
Meine Migräne äußert sich durch Kopfschmerzen und Lärmempfindlichkeit. Ich werde sehr müde, mein Kopf wird unendlich schwer und es hat auch starke psychische Auswirkungen. Ich bin viel langsamer im Kopf und jedes Problem erscheint viel größer und dramatischer, als wenn es mir gut geht.

Wie geht es Dir heute und wie hat sich dein Umgang mit der Migräne verändert?

Mit 18 endlich eine Diagnose zu bekommen, hat schon sehr geholfen – das Kind hatte endlich einen Namen! Trotzdem hat es noch mehrere Jahre gedauert, bis ich angefangen habe mich ernsthaft mit der Krankheit zu beschäftigen. Erst mit der Erkenntnis, dass es eine neurologische Erkrankung ist, an der ich erstmal nichts ändern kann, konnte ich anfangen, die Migräne als Teil von mir zu akzeptieren und aufhören dagegen anzukämpfen. Seit einigen Jahren verfolge ich den Ansatz „Be your own expert“ und gebe ich mir große Mühe mit der nicht-medikamentösen Prophylaxe: regelmäßiger/ ausreichender Schlaf, Ausdauersport (joggen und schwimmen), Magnesium, Blutzuckerspiegel stabil halten. Ich lerne weiterhin die Migräne einfach zu akzeptieren und versuche mich nicht zu ärgern, wenn sie meine Pläne durchkreuzt. Und die Lösung von Problemen wird auf die Tage nach der Attacke verschoben.
Seit einem knappen Jahr bekomme ich einen der CRGP Antikörper. Das hat meine Lebensqualität massiv verbessert und die Anzahl meiner Schmerztage von 10-15 auf 3-6 Tage reduziert. Die Anfälle sind meistens schwächer und z.B. schlafen oder einen Kaffee trinken, was seit Jahren wenig bis gar nicht mehr geholfen haben, funktionieren wieder als Abhilfe. Manchmal spüre ich die Begleiterscheinungen und weiß, dass ich eigentlich gerade Migräne habe. Dann versuche ich trotzdem mein Pensum etwas zurückzuschrauben.
Und weil es mir jetzt besser geht und ich die Migräne besser im Griff habe, traue ich mich endlich mich selbstständig zu machen. Insofern hatte 2020 auch was Gutes für mich!

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?

Ich versuche offen mit der Migräne umzugehen. Das heißt nicht, dass ich das jedem auf die Nase binde, aber wenn Menschen häufiger mit mir zu tun haben (beruflich wie privat), steigt die Chance, dass ich entweder deshalb mal nicht so gut drauf bin oder aber ganz absagen muss. Dann spiele ich lieber mit offenen Karten.
Personen in meinem nahen Umfeld (Familie, enge Freunde) fällt es manchmal schwer zu akzeptieren, dass die Krankheit nicht heilbar ist. Dass ich also trotz neuer, großartiger Prophylaxe noch Anfälle habe, die mich umhauen. Aber jeder freut sich mit mir, dass ich viel längere schmerzfreie Zeiten habe als früher.
Durch die Offenheit merke ich auch, wie viele Menschen eigentlich in unterschiedlichem Maß an Migräne leiden. Ich mag den Austausch, denn man kann immer noch etwas voneinander lernen. Wenn Menschen die Migräne nur mit Kopfschmerzen assoziieren, erkläre ich gern, dass es etwas mehr ist als das und der ganze Körper sowie die Psyche betroffen ist. Ich will, dass die Gesellschaft aufhört Migräne herunterzuspielen, für Werbung zu missbrauchen oder in Filmen damit Frauen zu unterstellen, sie hätten nur keine Lust.

Was machst Du freizeitlich und wie beeinflusst dich da deine Erkrankung (oder beeinflusst die dich da überhaupt?)?

Aktuell sind die Freizeitaktivitäten ja stark heruntergefahren, aber ich laufe (und schwimme – wenn es geht) nicht nur gegen die Migräne, sondern auch weil es mir insgesamt gut tut. Ansonsten bin ich normalerweise gern mit Freund*innen unterwegs, gehe ins Kino, Museum und auf Konzerte. Für letzteres habe ich mir angewöhnt immer Oropax zu tragen. Natürlich beeinflusst mich die Migräne auch in der Freizeit, manchmal muss ich Leuten absagen, weil es einfach nicht geht. Ich bin aber niemand der 24/7 unterwegs sein muss, deshalb plane ich schon deshalb ruhige Abende ein, was auch dem Kopf gut tut.

Was hilft dir im Umgang damit? Was hilft dir bei akuten Anfällen? Was hast du ausprobiert?

Ich nehme Rizatriptan, aber die haben bei mir auch Nebenwirkungen, deshalb nehme ich sie nur, wenn ich mich dann hinlegen kann. Ansonsten helfe ich mir mit Ibu, aber da diese ja wiederum für den Magen schädlich sind, versuche ich die Einnahme in Grenzen zu halten.
Da mein Kopf so schwer wird, hilft es mir schon sehr, wenn ich ihn, z.B. im Bett sitzend, anlehnen kann. Bei schweren Anfällen lege ich mich ins Bett und höre z.B. einen Podcast.

Etwas, das Du anderen Betroffenen sagen möchtest?

Seid offen und ehrlich! Nur so können andere ihren Umgang mit und vor allem ihre Erwartungen an euch anpassen. Es ist schmerzhaft, in einer Attacke auf Unverständnis zu treffen, aber das kann sich nur ändern, wenn das Stigma von Migräne als „nur ein bisschen Kopfschmerzen“ verschwindet. Hört auf euren Körper und gesteht euch ein, wenn mal nichts mehr geht. Das muss ich mir oft genug auch selbst noch sagen.

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