„Ich habe bei fast jeder Attacke eine Aura in jeglicher Form.“ Interview mit Daniela – Muräne-Stories No.52

Wer bist Du und was machst Du (beruflich)?

Mein Name ist Daniela, ich bin 27 Jahre alt und von Beruf Sozialversicherungsfachangestellte. Ich bin eine echte „Ruhrpottschnauze“ und komme aus Witten.
[Instagram migrainefighter und danny.247]

Hat Deine Migräne einen Namen?

In der Schmerzklinik Kiel gab man uns den Tipp, unsere Schmerzen zu visualisieren, sie zu benennen.
Meine tückische Freundin heißt Gisela. Wie ich darauf komme? Ich habe kurz vor dem Klinikaufenthalt diverse Youtube-Videos von einem jungen Mann
geschaut, der sein Tourette Gisela nennt (es gibt bestimmt einige da draußen, die wissen wen ich meine).
Als wir diesen Tipp in einer der Workshops zum Thema Schmerzbewältigung bekommen haben, ist mir dieser Name direkt in den Sinn gekommen.
Gisela sieht aus die wie kleine „Boo“ aus der Monster-Ag. Wenn sie ruhig ist, ist sie zuckersüß aber wenns es mal zur Sache geht verwandelt sie sich in ein Monster.

Seit wann hast Du Migräne (und welche Form)? Wie äußert sich deine Migräne?

Meine erste Migräne hatte ich damals mit 13 in der Schule. Direkt gabs das volle Programm: Schmerz, Übelkeit, Aura in Form von kribbelnde Extremitäten. 
Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, es wurde ein MRT durchgeführt und daraufhin wurde die Diagnose gestellt.
Eine seeeeehr lange Zeit hatte ich nicht einen Anfall, bis zum Winter 2015. Dieser Winter sollte der Beginn einer sehr schrecklichen, kräftezehrenden und intensiven Zeit werden.
Von Monat zu Monat wurden die Attacken häufiger und intensiver. Seit dem Frühjahr 2016 hatte ich täglich Migräne. Und wenn ich täglich sage, meine ich auch täglich.
28,29,30 oder auch 31 Tage im Monat machte Gisela mir das Leben zur Hölle. Bis ich im Dezember 2019 in die Schmerzklinik Kiel gefahren bin.
Diese zwei Wochen wahren sowohl die lehrreichsten, als auch die schlimmsten Wochen meines Lebens – aber dazu gleich mehr 🙂 .
Dadurch das ich die Migräne täglich habe, kann ich teilweise gar nicht mehr sagen wie es sich ohne anfühlt.
Heftiger Schmerz, Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit, Übelkeit, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Wortfindungsstörungen sind bei einer aktuen Attacke immer präsent.
Da ich neben der Migräne an Emetophobie (die Angst vom Erbrechen) leide, sind diese Situationen besonders schwierig für mich. 
Aus einer Attacke entsteht Panik die zu einer weiteren Attacke führt – super Teufelskreis!
Ich habe bei fast jeder Attacke eine Aura in jeglicher Form. Kribbelnde Extremitäten oder Gesicht, Blitze im Sichtfeld usw.

Wie geht es Dir heute und wie hat sich dein Umgang mit der Migräne verändert?

Dank der Botoxbehandlung, laufender Psychotherapie und richtigen Medikamenten, gehts mir aktuell gut.
Die Behandlung in Kiel hat mich und meine Einstellung zur Migräne verändert.
Es ist hart, wenn man schwarz auf weiß ca. 10 Diagnosen gestellt bekommt – die man teilweise nicht wahr haben möchte wie z.B. eine schwere Depression – und im
gleichen Atemzug realisiert, dass man so geboren wurde und so stirbt. Aber es half mir, mich mit dem Thema auseinander zu setzen. Es zu akzeptieren und anzunehmen.
Im Anschluss der stationären Maßnahme habe ich einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt. Aufgrund weiterer Erkrankungen (Asthma, Lipödem, Emetophobie ..)
habe ich einen Grad der Behinderung von 50%. Aktuell ist dieser bis Ende 2025 befristet, jedoch werde ich eine Verlängerung beantragen.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?

Mein Umfeld reagiert sehr gemischt auf diese Erkrankung.
Freunde die ebenfalls an Migräne oder anderen psychischen Erkrankungen leiden, haben vollstes Verständnis dafür wenn man absagt oder es einem richitg mies geht.
Heißt nicht das die „Normalos“ kein Verständnis haben! Man muss sich aber häufiger rechtfertigen und es erklären.
Außenstehende wie z.B. Arbeitskollegen, unwissende Ärzte, Quaksalber oder Vorgesetzte haben da weniger Verständnis für. „Man sieht es dir ja gar nicht an!“ „Siehst trotzdem fit aus“ sind so die Standardaussagen.

Was machst Du freizeitlich und wie beeinflusst dich da deine Erkrankung (oder beeinflusst die dich da überhaupt?)?

In meiner Freizeit versuche ich viel Zeit mit Menschen zu verbringen die mir gut tun.
Ich lese sehr gerne Krimis, Thriller und Psychothriller und falls es mal mit dem lesen nicht gut läuft, höre ich sehr viele Hörbücher.

Gisela beeinflusst meine Freizeit und meinen Alltag sehr. Ich kann gar nicht mehr zählen wie oft ich Verabredungen abgesagt hab oder mich krank gemeldet habe..

Was hilft dir im Umgang damit? Was hilft dir bei akuten Anfällen? Was hast du ausprobiert?

Gefühlt habe ich so ziemlich alles bereits ausprobiert. Prophylaxe in jeder Tablettenform, Akupunktur, Osteopathie, Physiotherapie, Psychotherapie und Triptane.
Aktuell helfen mir die Botoxinjektionen alle 3 Monate um den Dauerkopfschmerz auf ein minimalstes zu reduzieren.
Bei heftigen Attacken nehme ich Sumatriptan oder Rizatriptan in Verbindung mit Naproxen, Domperidon gegen die Übelkeit und wenn der Status zu heftig wird Prednisolon (Kortison).
Falls ich merke, dass die Kopfschmerzen aus der verspannten Nackenmuskulatur kommen hilft mir auch ein Kirschkernkissen.
Ich versuche genug gute Kohlenhydrate wie nur möglich am Tag zu essen, damit mein Energiespeicher ausreichend voll ist.
Meinen Tagesablauf versuche ich täglich genau einzuhalten. Das Haus verlasse ich nie ohne einen Notfall-Schokoriegel falls es zur Unterzuckerung kommen sollte.

Etwas, das Du anderen Betroffenen sagen möchtest?

Ich möchte jeden ermutigen nicht aufzugeben, egal wie aussichtslos die Situation oder der Status auch scheint. Es wird auch bessere Tage geben!
Geht offen mit dem Thema um, sprecht mit euren Liebsten und versucht es ihnen irgendwie zu erklären. Nicht vielleicht primär den Schmerz, sondern eher die weiteren „Besonderheiten“
wie eine unaufhaltsame Reizüberflutung.
Mir hilft folgendes Beispiel zum erklären: 
Man sitzt gemeinsam im Restaurant (ich mit Migräne, meine Begleitung ohne Migräne).
Meine Begleitung fokusiert sich auf mich, das Essen, unsere Unterhaltung.
Ich jedoch bekomme einfach alles mit. Unsere Unterhaltung, die Bestellung vom Nachbarstisch, das sich streitende Paar am Ende des Raums.
Das wäre eine Möglichkeit um die Reizüberflutung ggf. auch als Trigger zu erklären.

Probiert euch aus. Schaut und testet was euch gut tut und hilft. Versucht eure Trigger herauszufinden (Gerüche, Situationen o.a.). Mir z.B. hilft die Gewissheit immer Zucker dabei zu haben.
Ich weiß, dass mir eine eiskalte Cola für eine geraume Zeit hilft.
Mir geht es besser, wenn ich über einen längeren Zeitraum meine Routinen einhalte (gleiche Aufsteh- und 
Schlafenszeiten, genügend Mahlzeiten, ausreichend Kohlenhydrate, Übungen zur Stressreduzierung, PMR).

Der Weg um auch nur ansatzweise einen angenehmen Tag zu erleben ist sehr schwer, ich weiß. Aber gebt die Hoffnung nicht auf.
Ihr seid nicht allein mit dieser Erkrankung und versucht auch mal das positive daran zu sehen.
Wir sind einfühlsamer, empathischer, lernen schneller, sind sehr zielstrebig und perfektionistisch veranlagt. Jeder Arbeitgeber kann sich glücklich schätzen,
so fleißige Bienchen wie uns in der Firma zu haben.
Und eine Sache hat Herr Prof. Dr. Goebel noch gesagt, solang man unter aktuen Migräneattacken leidet, ist das Risiko an Alzheimer und Demenz
zu erkranken extrem niedrig! Hat doch was, oder 😉 ?

Schaut nicht auf andere oder zerbrecht euch den Kopf darüber was sie denken könnten, wenn ihr absagt oder euch krank meldet.

Ich habe diese Fehler begangen, bin mit dicker Migräne zur Arbeit gefahren und am Ende des Tages dankt mir niemand dafür eher im Gegenteil. Es wird sich beschwert, dass man unkonzentriert ist und nicht so viel Gas gibt wie sonst immer. Denkt an euch selbst! Ihr habt nur dieses eine Leben und verschwendet es nicht mit unnötigem Kopfzerbrechen. 

Versucht euch mit gleichgesinnten auszutauschen, vielleicht sogar mit Betroffenen im gleichen Alter. Man die gleichen Sorgen und Ängste, aber vielleicht hat euer Gegenüber den ein oder anderen Tipp für euch auf Lager.

Migräne und Schwerbehinderung?

Wie bereits erwähnt, habe ich nach meinem Aufenthalt in Kiel habe ich den Antrag bei dem zuständigen Versorgungsamt gestellt.
Aufgrund diverser weiterer Diagnosen, habe ich auf Anhieb 50% erhalten.
Die 50% sind keine Garantie. Es kommt darauf an, was ihr für Befunde einreicht, welche Erkrankungen vielleicht noch vorliegen.
Schreibt selber ein paar Zeilen und versucht das „Leid“ zu beschreiben.
Nutzt die Chance, auch wenn es nur 30%! Es ist quasi der Nachweis schwarz auf grün (der schöne Ausweis ist grün :)), für den ihr euch nicht rechtfertigen müsst!
Damit hat man einen besonderen Kündigungsschutz dem Arbeitgeber gegenüber, man hat weitere 5 Tage „Urlaub“ mehr im Jahr und tatsächlich steuerliche Vorteile.
Ich weiß, dass ich kein Trost für die Qualen die wir tag täglich erleben, jedoch eine kleine Anerkennung.

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