„Besonders seit der Chronifizierung hat die Migräne einen starken Einfluss auf mein Leben.“ – Interview mit Ann-Katrin – Muräne-Stories No.74

Wer bist Du und was machst Du?

Ich bin 47 Jahre alt, glücklich verheiratet, lebensfreudiges Nordlicht und seit fünf Jahren wohnhaft in Berlin. Bis zu meiner Frühberentung 2010 war ich nach dem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften als Produktionerin und PR-Referentin tätig.

Seit wann hast Du Migräne (und welche Form)? Wie äußert sich deine Migräne?

Für die Migräne habe ich keinen Namen. Obwohl sie mich schon so lange begleitet, bin ich noch nie auf die Idee gekommen, ihr einen Namen zu geben. Vielleicht sollte ich mal darüber nachdenken… auch wenn sie mir dadurch wohl kaum sympathischer wird.

Migräne habe ich seit ca. 30 Jahren, beginnend mit der Einnahme der Pille, wenn ich mich recht erinnere. Auf alle Fälle hatte ich da die ersten heftigen Anfälle mit Erbrechen. Da meine Mutter ebenfalls unter Migräne leidet, war die Diagnose sofort klar. Während des Studiums ging es besser, aber mit Eintritt in das Berufsleben (im Rückblick betrachtet selten mit  für mich optimalen Arbeitsbedingungen) trat die episodische Migräne gehäuft auf. Ich habe immer versucht zu funktionieren und Tabletten geschluckt, um arbeitsfähig zu sein. Als dann vermehrt auch starke und anhaltende Erschöpfungszustände dazukamen, konnte ich irgendwann nicht mehr arbeiten und wurde 2010 frühberentet. Seit ca. 2014 ist die Migräne chronisch.

Wie geht es Dir heute und wie hat sich dein Umgang mit der Migräne verändert?

Besonders seit der Chronifizierung hat die Migräne einen starken Einfluss auf mein Leben. In schlechten Phasen (meist von Oktober bis April) habe ich zwischen 18 – 21 Schmerztage und kann aufgrund von anhaltender Erschöpfung auch an den schmerzfreien Tagen wenig machen. In den Sommermonaten ist es meist besser. 2012 habe ich an einem achtwöchiges MBSR (Mindful Based Stress Reduction)-Training teilgenommen und 2014 ein fünfwöchiges Meditationsretreat in Thailand besucht. Das hat mir eine gute Basis gegeben für eine kontinuierliche spirituelle (relgionsungebundene) Praxis zu Hause. Diese hilft mir vor allem bei der Reflektion, der Wahrnehmung meiner Bedürfnisse und mit dem zu sein, was ist. Für mich ist das ein sehr lohnender und gleichzeitig lebenslanger Übungsweg, der mich immer wieder zentriert, erdet und mit Dankbarkeit  erfüllt.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?

Das allgemeine Verständnis ist mittlerweile gut und generell weiß jede mir nahestehende Person, dass es auch immer wieder zu kurzfristigen Änderungen oder Absagen kommen kann, denn leider bin ich gar nicht (mehr) zuverlässig planbar. Ich kommuniziere sehr offen, dass ich unter Migräne leide, vor allem auch wenn es um die Teilnahme an termingebundenen externen Veranstaltungen wie z.B.  Therapien, Workshops, etc.,  geht. Bisher habe ich damit sehr positive Erfahrungen gemacht und bin auf viel Verständnis gestoßen.

Generell kann sich, außer meinem Mann, in meinem Umfeld jedoch niemand wirklich vorstellen, wie es mir geht und was ich für ein Leben führe, mit all seinen Ein- und Beschränkungen und den entsprechenden Berücksichtigungen. Mein Mann ist gleichzeitig mein bester „Coach“, da er häufig noch vor mir wahrnimmt, wenn es „zu viel“ wird und mein Zustand „kippt“. Nach wie vor ist ein stetiger Lernprozess, gut auf meine Bedürfnisse zu achten und nicht dem (selbstgemachten) Leistungsdruck zu folgen.

Was machst Du freizeitlich und wie beeinflusst dich da deine Erkrankung (oder beeinflusst die dich da überhaupt?)?

Meine Erkrankung beeinflusst mich sehr. So müssen Reisen zum Beispiel, wenn überhaupt möglich,  sehr gut geplant und durchdacht sein. Mein Mann ist mittlerweile Profi, was die Organisation angeht und alles zu beachten, um mir die An- und Abreise sowie die Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.

In besseren Phasen mache ich leichtes Funktionstraining und gehe Spazieren. Die Länge ist immer abhängig von meinem jeweiligen Zustand. Ausdauersport wie Laufen, Rudern, Radfahren, etc. , den ich früher ausgiebig betrieben haben, ist seit Jahren bedauerlicher Weise nicht mehr möglich. Lange habe ich auch (Hatha) Yoga gemacht, musste damit jedoch vor einem Jahr aufhören, da die Asanas bei mir ebenfalls Migräne auslösten. Derzeit bin ich auf der Suche nach einer mir bekömmlicheren Form des Yoga. Außerdem bin ich gern kreativ tätig (Nähen, Basteln) und ein guter „Beziehungspfleger“. Familie und FreundInnen werden von mir regelmäßig mit Briefen, Karten und sonstigen Nachrichten versorgt. Das schönste ist es jedoch immer, wenn ich FreundInnen und Familie auch mal persönlich treffen kann, was früher selbstverständlich war und mittlerweile zu etwas sehr  Besonderem geworden ist.

Was hilft dir im Umgang damit? Was hilft dir bei akuten Anfällen? Was hast du ausprobiert?

Ich habe schon sehr viel ausprobiert, in alle verschiedene Richtungen: Schulmedizin, Naturheilkunde (Ayurveda, TCM, Homöopathie), Psychotherapien sowie alles weitere, was Aussicht auf Besserung versprach, aber meist nur viel Geld gekostet und nachhaltig nichts gebracht hat. Das sind Erfahrungen, die sicherlich viele von uns gemacht haben. Nach diversen Prophylaxen (Flunarizin, Amitryptlin, Topiramat) erhalte ich seit zwei Jahren die Antikörper- Spritze. Begonnen habe ich mit Erenumab (Aimovig) und da die Wirkung nach einigen Monaten nachließ spritze ich seit Juni letzten Jahres Emgality (Galcanezumab). Die Wirksamkeit zu Beginn war sehr gut und ich hatte gleich nach der Verabreichung eine Woche lang keine Schmerzen, was seit Jahren nicht vorgekommen ist. Mittlerweile ist die Kopfschmerzfrequenz zwar wieder höher, aber die Schmerzintensität und –länge geringer bzw. kürzer. Das ist also immer noch eine Verbesserung. Als Akutmedikation nehme ich Naproxen (500 – 1000 mg), da Triptane bei mir nicht gut anschlagen und meist zu  anschließenden Spannungskopfschmerzen führen.  Bei morgendlichen leichten Kopfschmerzen hilft auch häufig ein Espresso mit Zitrone. Bei stärkeren Schmerzen lege ich mich hin mit Kühlpad über den Augen und je nach Verspannungsgrad einer Wärmflasche im Nacken und schlafe oder höre Enstpannungssounds oder Hörbücher, je nach Schmerzstärke. Bei starken Schmerzen übernachte ich in meinem großen Ohrensessel, da ich nicht liegen kann und in eine halb sitzende Position bevorzuge.

Die allgemeine Basis ist eine gesunde Ernährung, kein Alkohol (geraucht habe ich eh noch nie), regelmäßige Meditation am Morgen sowie Entspannung(sverfahren) am Nachmittag und Bewegung sofern möglich.

Etwas, das Du anderen Betroffenen sagen möchtest?

Generell muss jeder seinen eigenen Weg finden mit der Krankheit und allem, was dazu gehört, umzugehen. Ein gut funktionierendes soziales Umfeld ist dabei sicherlich hilfreich. Auch ein liebevoller Umgang mit sich selbst ist eine gute Grundlage  und unterstützt dabei, den hohen Anspruch, den viele von uns Migränebetroffene an sich selbst haben, realistisch und mit einer Prise Humor immer wieder von der Metaebene zu betrachten und loslassen zu können.  Jeder hat seine eigenen Kraftquellen und Freuinseln, die Mut machen und Durchhalten lassen. Für mich ist Dankbarkeit ein essentieller Faktor. Denn vieles, was für andere selbstverständlich ist, ist es für mich eben nicht mehr. Alles was nicht geht, ist normal und alles was geht, ein Grund zur Freude. Dadurch erhält vieles einen anderen Stellenwert und erfährt eine neue Wertschätzung.

Auch das Thema „Akzeptanz“ ist sehr wichtig, womit ich immer mal wieder meine Herausforderungen habe. Ich bleibe dran. Das Aneignen von Wissen über die Krankheit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. So bin ich großer Fan der Migraine World Summit, die jedes Jahr spannende und interessante Vorträge zum Thema Migräne von Experten weltweit zur Verfügung stellt.  Des weiteren bin ich Mitglied der MigräneLiga e.V. , nehme derzeit an der SMARTGEM-Studie der Charité zum Thema smartphone-gestützte Migränetherapie teil, folge seit Anfang des Jahres auf Instagram einigen Migräne-Seiten und habe diverse Podcasts (sehr empfehlenswert: „Ich hab Migräne – Und was ist deine Superkraft“ von Bianca Leppert) abonniert

Etwas anderes, dass Du noch erzählen möchtest?

Wie wahrscheinlich viele andere mit Migräne, bin ich hochsensibel und es hat mir sehr geholfen, mehr über dieses Temperamentsmerkmal zu erfahren und zu verstehen, wie und warum ich auf Reize intensiver reagiere und wie ich gut für mich sorgen kann.

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