Wer bist du und was machst du?
Ich bin Nina. Ich bin 30 Jahre alt und arbeite als Gestalterin für visuelles Marketing, im Bereich Interior Design. [Instagram: n.i.k.a.91]
Wie lange hast du schon Migräne? Wann fing das an, gab es eine bestimmte Situation, an die du dich erinnerst? Welche Migräne Form hast du und wie äußert sie sich?
Migräne habe ich ungefähr seit meinem 13. Lebensjahr. Die erste richtige Attacke ist mir in Erinnerung geblieben, als mich mein Vater zu einer wichtigen Ballettprobe gefahren hatte. Auf dem Weg dorthin musste er dann ein paar Mal anhalten, weil ich mich übergeben musste. Die Kopfschmerzen wurden so stark, dass ihn verzweifelt nach „irgendwas“ dagegen bat. Doch die normalen Kopfschmerztabletten halfen schon damals nicht. Einordnen konnte ich das zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Ich dachte, ich hätte mir irgendwas eingefangen. Erst Jahre später, als die Attacken immer häufiger wurden, wurde mir bewusst, dass es sich um Migräne handelt. Seit etwa 7 Jahren hat sich die Migräne chronifiziert. Oftmals treten die Attacken mit Aura auf, aber nicht immer. Dann kündigt sie sich mit Taubheitsgefühlen in den Fingern an, ich bekomme Sehstörungen und teilweise auch Sprachstörungen, bevor dann der eigentliche Kopfschmerz beginnt. Teilweise geht aber auch der chronische Spannungskopfschmerz im Laufe des Tages in eine Migräne Attacke über. Momentan sind es meist zwischen 11-15 Migräne Tage im Monat. Der Spannungskopfschmerz begleitet mich täglich.
Wie geht es dir heute und wie hat sich dein Umgang damit verändert?
So wirklich angefangen die Krankheit zu akzeptieren und Wege zu finden MIT der Migräne zu leben und nicht gegen sie, habe ich eigentlich erst nach der Reha im letzten Februar/März 2021. Vorher habe ich doch immer irgendwie im Stillen auf eine Art Wunderheilung gehofft…oder zumindest auf etwas, das maßgeblich Besserung bringt. Sogar die Reha habe ich als Art Meilenstein gesehen und mir lange als Durchhalteziel gesetzt, wenn ich mit meinen Kräften im Alltag am Ende war. Dann dachte ich mir immer „noch bis zur Reha durchhalten…dann wird es sicher viel besser!“ Dass ich die Krankheit erst einmal akzeptieren muss und ganz maßgeblich selbst mit verantwortlich bin, im Alltag auch etwas zu ändern, auf mich Acht zu geben und den Verlauf nicht einfach in die Hände der Ärzte abgeben zu können, das musste ich erst einmal verstehen und auch verarbeiten. In der Reha und auch in der Zeit danach, habe ich mich sehr viel mit der Krankheit und auch mit mir beschäftigt, was mich eigentlich zu der Nina gemacht hat, die ich heute bin… Insgesamt ein sehr intensives Jahr für mich, an dem ich aber sicher auch sehr gewachsen bin. Nach und nach habe ich mich damit abgefunden, dass ich Wege finden muss, bestmöglich durch den Alltag zu kommen und ich selbst den größten Beitrag für den Verlauf der Krankheit beisteuern kann. Mittlerweile versuche ich die Migräne sogar als „Freundin“ zu sehen, die auf mich aufpasst, wenn ich einen Gang zurückschalten muss, weil ich mich gerade übernehme. Einig sind wir uns da sicher nicht immer. Wie es nun mal auch in einer Freundschaft so ist. Die letzten Monate gab es sicherlich viele Niederschläge für mich, weil Therapien nicht so funktionierten wie erhofft, ich mit vielen Nebenwirkungen zu kämpfen hatte und bestimmt einige Tage dabei waren, an denen ich die „Freundschaft“ gerne gekündigt hätte. Aber so einfach schmeißt man ja nicht hin. Uns gibt es nun mal nur im Doppelpack, somit werden wir wohl noch paar Wege testen. Bestimmt wird der ein oder andere noch holprig…aber wie hätte meine Oma wohl gesagt…“Unkraut vergeht nicht!“
Wie beeinträchtigt dich die Migräne im Beruf und in der Freizeit?
Seit ein paar Jahren hat die Migräne Einzug in den Alltag genommen. Ich weiß nicht, was ich für ein Mensch wäre, ohne die Migräne. Klar, sie verändert einen. Man muss sich anpassen, ob man will oder nicht. Eine chronische Krankheit bringt natürlich auch so seine Probleme mit sich. Seien es die Kranktage auf der Arbeit und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten oder auch Freizeit und Hobbys, die man natürlich zuerst zurücksteckt. Wie oft lässt man das Training am Abend dann doch lieber sein, weil man Angst hat, dass es in eine Attacke übergeht und man am nächsten Tag nicht fit für die Arbeit ist… Dabei lernt man doch andererseits, wie wichtig Sport wiederum auch als nicht medikamentöse Prophylaxe ist. Da die richtige Balance zu finden ist nicht einfach. Wie oft ist man im Zwiespalt, sich nicht schon wieder krankmelden zu wollen, aber die komplette Nacht mit einer Migräneattacke um die Ohren geschlagen hat und eigentlich noch immer vollkommen kraftlos, im Vampir Modus, lieber im abgedunkelten Zimmer bleiben möchte. Das ist eigentlich ein tagtäglicher Kampf mit sich selbst. Mal gewinnt die Vernunft, mal das schlechte Gewissen gegenüber anderen. Gerade im Ballett, meiner Leidenschaft seit Kindesalter, hat es sehr lange gedauert, die Umstände neu zu akzeptieren. Vor ein paar Jahren, als sich die Migräne bereits chronifiziert hatte und ich deshalb bereits regelmäßig in der Schmerztherapie Termine hatte, hat ein Arzt mal im Gespräch zu mir gesagt, „er wünsche mir, dass ich einen Weg für mich finde“, als es um meine Leidenschaft, den Tanz ging. Zu dem Zeitpunkt hatte ich komplett pausiert, da es mich irgendwie frustriert hatte nicht 100% geben zu können und nicht regelmäßig ins Training zu gehen, wie ich es von früher gewohnt war. Ich war überzeugt zu „warten“ auf bessere Zeiten, bis ich wieder Vollgas geben kann…Nach dem Satz, den er mir so mitgab, war ich erst mal etwas verdutzt und irgendwie sogar sauer. Nicht auf ihn, sondern auf die Situation und auf die Migräne! Heute bin ich ihm sehr dankbar für diesen Denkanstoß! Er hat mich irgendwie dazu gebracht, dass es nichts bringt auf etwas zu „warten“, was nicht eintreten wird, sondern die Situation zu akzeptieren. Das war und ist auch noch immer eine der größten Herausforderungen, manchmal mehr auf seinen Körper hören zu müssen, als es mir lieb ist. Gerade, wenn man es von früher anders kennt…
Was hilft dir im Umgang mit der Migräne?
Am meisten hilft es mir offen damit umzugehen. Doch das hat lange gedauert, bis ich das verstanden habe. Und auch heute gibt es noch Tage, an denen ich nicht so gut darin bin und vieles lieber mit mir selbst ausmache. Aber Migräne zählt nicht umsonst zu den unsichtbaren Krankheiten… Und letztendlich habe ich durch Offenheit auch so viele gute Erfahrungen gemacht. Ich habe auch wirklich das Glück, viele tolle, einfühlsame Menschen um mich zu haben. Vor allem sind mir meine Familie und Freunde eine große Stütze, die mich so nehmen wie ich bin, auch im „Zombie Modus“ und mir nicht böse sind, wenn ich kurzfristig absagen muss oder einfach mal nicht so gut drauf bin. Genauso meine Arbeitskollegen! So viel Verständnis und Hilfe von allen Seiten, dass es mir manchmal schon unangenehm ist. Nie ein Vorwurf oder blöder Kommentar, wenn ich mich krankmelden muss…achten meist mehr auf mich, als ich selbst 🙂 So viel Hilfe von allen Seiten, das ist wirklich viel wert und weiß ich auch sehr zu schätzen! An dieser Stelle…ein großes DANKE.
Was hilft dir im Migräne-Anfall?
In einer Attacke helfen mir meist meine Akutmedikamente sehr gut. Außerdem, wenn es möglich ist, Ruhe und ein abgedunkelter Raum. Gerne habe ich auch eine Kühlkompresse auf den Augen/ Schläfe. Mit Cefaly, einem TENS Gerät speziell auf den Drillingsnerv in der Stirn angepasst, kann ich manchmal noch einen Anfall abfangen, wenn ich merke, dass sich der Spannungskopfschmerz hoch steigert.
Was würdest du Migräne-Kämpfer:innen sagen?
Es gibt immer noch neue Wege…manche muss man zweimal gehen und manche sind sehr holprig und gehen lange bergab bevor es aber irgendwann auch wieder bergauf geht.
Was würdest du Menschen ohne Migräne sagen?
Nicht in das einfache „Klischee Denken“ verfallen und unbedachte Sprüche raushauen. Das kann für jemanden der mit der Krankheit schon viel gekämpft hat, sehr verletzend sein. Jede Attacke ist anders. Urteile nie nach dem was du siehst oder auch nicht siehst. Mal wirken Medikamente super und man kann den Alltag einigermaßen bezwingen, ein anderes Mal ist Atmen schon die größte Aufgabe des Tages und man vermutet die Medikamente versehentlich mit Placebos vertauscht haben zu müssen.
Hast du ein Lebensmotto, einen Spruch, der dir Kraft gibt?
Kein Motto oder Spruch…aber ich versuche mir viel öfters bewusst vor Augen zu führen, was ich schon alles geschafft habe und was ich noch schaffen kann, wenn ich will