„In meiner Familie sind alle von Migräne betroffenen Personen nicht in neurologischer Behandlung gewesen.“ – Interview mit Erika – Muräne Stories No.78

Triggerwarnung – Übelkeit

Liebe Migräne-Community,

mein Name ist Erika Rosenfeld und ich lebe mit meinem Mann und unseren zwei Kindern in Nordrhein-Westfalen.

Ich bin 41 Jahre alt und bin seit der Pubertät an chronischer Migräne erkrankt. In meiner Familie sind meine Mutter, mein Bruder und drei meiner Schwestern ebenfalls davon betroffen. Meiner Migräne habe ich keinen gesonderten Namen gegeben.

In meiner Familie sind alle von Migräne betroffenen Personen nicht in neurologischer Behandlung gewesen. Man hat die Attacken mit den frei verkäuflichen Medikamenten „behandelt“ und wenn es mal nicht gegriffen hat, dann legte man sich hin. Die „Kopfschmerzen“ gehörten einfach zum Leben dazu. So wurde mir das vorgelebt und ich habe mich mit der Krankheit Migräne nicht weiter auseinandergesetzt.  In meinen Schulzeugnissen kann ich in nachhinein sehen, wie häufig ich wegen der Migräneattacken tatsächlich in der Schule gefehlt habe.

Nach der Schule begann ich eine Ausbildung und die Attacken traten gehäuft auf. Mein damaliger Arbeitgeber (er war Internist) gab mir Triptane zum „probieren“. Sie haben bei mir nicht angeschlagen, da ich sie mitten in der schlimmen Attacke genommen habe. Deshalb habe sie als unwirksam abgetan und griff weiter zu den gängigen Schmerzmitteln.

Das Leben ging weiter und ich habe mich im Alter von 18 Jahren innerhalb von 3,5 Jahren, wegen meiner angeborenen Hüftdysplasie sechs Mal operieren lassen. In dieser Zeit verringerten sich die Migräneattacken, weil ich den größten Teil des Genesungsprozesses das Bett hüten musste und anschließend die Reha-Maßnahmen in Anspruch genommen habe. Es sind relativ ruhige Zeiten für mein Gehirn gewesen.

Die neue Ausbildung, dieses Mal nicht im medizinischen Bereich, forderte mein Gehirn heraus, die Attacken kamen immer häufiger und ich versuchte die drei Jahre irgendwie zu überstehen. Es ist eine schwierige Zeit gewesen und ich würde es im Nachhinein ganz anders machen. Z.B. würde ich die chronische Erkrankung offen mit dem Arbeitgeber kommunizieren und mich von einem Neurologen behandeln lassen. Mit den Jahren hat sich die Intensität der Schmerzattacken verändert. Sie sind intensiver und langanhaltend geworden.

Mit 24 Jahren kam unser erstes Kind zur Welt. Die Schwangerschaft ist unheimlich kräftezehrend gewesen. Ich erbrach mehrmals täglich, neun Monate lang. Das führte zu heftigen Migräneattacken, die ich ohne Medikamente, um dem Ungeborenem nicht zu schaden, im Bett ertrug. Zwischenzeitlich musste ich stationär in einer Klinik „aufgepäppelt“ werden, da ich stark abgenommen hatte. Das Baby hatte nicht ausreichend Vitamine etc. bekommen, weil ich nichts im Magen behalten konnte. Kurz vor der Entbindung musste ich noch im Kreißsaal erbrechen und dann unser wunderbares Kind in die Arme zu schließen.

Drei Jahre darauf gebar ich unsere Tochter. Die zweite Schwangerschaft gestaltete sich genauso, wie ich die erste geschildert habe. Es ist eine entbehrungsreiche Zeit gewesen.

Nach der Elternzeit habe ich als Quereinsteigerin begonnen als Arbeitsgruppenleiterin in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten.

Das schärfte mir den Blick für meine eigenen Einschränkungen, die meine Migräne so mit sich brachte. Ich begab mich in eine Schmerzklinik zur ambulanten Behandlung und nahm an einer einwöchigen Studie der Charitè Berlin zur chronischen Migräne teil. Hier traf ich auf Menschen, die ähnliche Erfahrungen mit Migräne haben und konnte so, viel über mich und meine Erkrankung lernen.

Die Migräneprophylaxen, die mein Neurologe mir verschrieb, griffen nicht bei mir. Ich war zeitweise an meinem Tiefpunkt angekommen.

Ich wechselte zurück in meinen erlernten Beruf. Da ich als Fachangestellte für Medien und- Informationsdienste im direkten Kundenkontakt stehe, sind die Migräneattacken schwer zu vereinbaren mit der Arbeit. Entweder versuche ich mehr schlecht als recht den Tag mit Medikamenten zu „überstehen“ oder ich muss den Arbeitsplatz verlassen und mich zu Hause hinlegen. Diese Entscheidung fällt mir jedes Mal schwer, da meine Kollegen zusätzlich zu ihrer Arbeit, meinen Aufgabenbereich betreuen müssen. Durch die Schmerzen kann ich dann nur langsam arbeiten, bzw. Aufgaben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Die Konzentration lässt stark nach, es kommt zu Fehlern, die ich sonst nicht machen würde. Bewegungen wie Gehen und Bücken sowie Bildschirmarbeit verstärken den Migräneschmerz.

Auf Instagram betreiben einige Migränebetroffenen Accounts eigens über Migräne. Es ist für mich sehr informativ und hilfreich. Man kann sagen, dass es fast wie eine Selbsthilfegruppe funktioniert. Sehr viele Gedankenanstöße und Ideen zum Umgang mit der Migräne erhielt ich darüber. Auch habe ich den Mut bekommen einen Antrag auf Schwerbehinderung zu stellen. Dem wurde stattgegeben und ich bin froh darüber. Denn für uns chronisch Kranke ist das normale Leben doppelt und dreifach schwerer zu bewältigen als für die Gesunden.

Auslöser für einen Migräneanfall sind bei mir Zigarettenrauch, Vanilleduft, Parfüm, grelles Licht, laute Umgebung/Geräusche, zu kurzer/zu langer Schlaf, nicht rechtzeitige Nahrungsaufnahme, unregelmäßige Tagesabläufe, Stress, plötzliches Erschrecken, wenn ich mich über etwas freue oder traurig werde, lange am Bildschirm arbeiten, Autofahren im Dunkeln und bei Regen. Das sind Trigger, die ich versuche zu meiden, was im Alltag aber häufig nicht machbar ist.

Eine Migräneattacke beginnt bei mir gewöhnlich mit Übelkeit, Lärm,-Licht,- und Geruchsempfindlichkeit, dazu kommt der pulsierende Schmerz in der ganzen rechten Kopfhälfte und der starke Augendruck (ein Gefühl, als ob das Auge aus dem Kopf fällt) und der Kiefer, inkl. der Zähne schmerzen. Dieser Zustand kann mehrere Tage anhalten. Ich versuche bei den ersten Anzeichen ein Triptan oder Ibuprofen zu nehmen. Nicht immer kann der Schmerz damit gedämpft werde. Oft ist es so, dass das Triptan nicht greift und ich erstmal eine Zeit abwarten muss, um Ibuprofen nehmen zu können. Mehrfach lag bei mir ein Medikamentenübergebrauch vor. Ich habe durch die häufigen Medikamenteneinnahme Magenbeschwerden. Deshalb versuche ich auf die 10/20 (nicht mehr als 10 Tabletten in 20 Tagen) Regel zu achten, was nicht immer gelingt. Nach 3-4 Stunden lässt die Wirkung des Medikamentes nach und die Migräne entfaltet sich wieder ganz. An solchen Tagen hilft mir nach der Medikamenteneinnahme sich im dunklen Raum hinzulegen und abzuwarten, bis es erträglicher wird. Nach der Medikamenteneinnahme wird der pulsierende Schmerz in den Hintergrund gerückt, ich fühle mich erschöpft und kann schlecht sehen (rechtes Auge). Komplette Schmerzfreiheit kann bei mir durch Medikamente nicht erwirkt werden. Das zehrt körperlich und psychisch an mir.

Durch Migräneattacken falle ich im Familienleben als Frau und Mutter komplett aus. Meine beiden Kinder versuchen mich nicht zu stören und mein Mann achtet darauf, dass ich abgeschirmt von Licht und Lärm bin. Ich kann dann für sie nicht da sein und nicht am Familienleben teilnehmen.

Ebenso muss ich geplante Termine bei Ärzten, mit Freunden und anderen Familienangehörigen absagen.

Seit Sommer 2021 nehme ich die Ajovy 225 ml Antikörperspritze 1x monatlich. Die Migränetage sind von durchschnittlich 20-25 auf 13 Tage gesunken. Das ist ein großer Gewinn an Lebensqualität für mich!

Allen Betroffenen kann ich nur wärmstens empfehlen sich über Migräne bestmöglich zu informieren und nie zu vergessen, dass die schlimmste Attacke vergehen wird und man wieder bessere Momente haben wird!

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