Wer bist Du und was machst Du?
Anna, 32, Innsbruck (Tirol) Lehrerin in einem Gymnasium, Bergretterin. [Instagram: annaecanederli]
Wie lange hast Du schon Migräne? Wann fing das an, gab es eine bestimmte Situation an die Du Dich erinnerst?
Eigentlich hatte ich, seit ich mich erinnern kann Probleme mit Kopfschmerzen. Früher war dann meist das Wetter die Erklärung oder, dass ich zu wenig getrunken hätte. Ab der Pubertät hatte ich dann definitiv auch heftigere Migräneattacken, die mit dem Alter immer stärker und ausgeprägter wurden.
Welche Migräneform(en) hast Du und wie äußert sie sich?
Beinahe tägliche chronische Migräne teilweise auch mit Aura (die Aura ist erst in den letzten Jahren sehr schleichend dazu gekommen). Früher hatte ich auch Probleme mit Spannungskopfschmerz, der dann regelmäßig zur Migräne wurde. Seit 2 bis 3 Jahren habe ich die Spannungszustände gut im Griff, dafür wurde die Migräne schlimmer.
Wie heißt Deine Migräne?
Meine Migräne selbst hat keinen Namen, es gibt aber mein migraine-brain, das kennen meine Schüler:innen schon, wenn ich ihre Namen vergesse oder Begriffe verwechslen anfange.
Wie geht es Dir heute und wie hat sich Dein Umgang damit verändert?
Aktuell geht es mir seit ca einem Jahr von der Migräneintensität und Häufigkeit sehr schlecht. Allerdings bin ich inzwischen im Umgang mit der Migräne gelassener als früher. Ich traue mich inzwischen auch einmal in den Krankenstand zu gehen und zu Hause zu bleiben. Das war für mich früher ein No-Go, weil ich mich wie eine Hochstaplerin fühlte – nach dem Motto, wenn ich Medikamente nehme würde es doch gehen. Da hat mir eine Psychologin sehr geholfen. Inzwischen traue ich mich auch Trigger klar zu benennen. Insbesondere wenn es um Personen geht, hatte ich früher immer das Gefühl, ich dürfe das nicht äußern, weil die andere Person ja nichts dafür kann. Inzwischen weiß ich, dass ich sehr wohl meine Grenzen ziehen und mich auch von Personen distanzieren oder aus Situationen herausnehmen darf bzw. dass das möglich sein muss. Das waren für mich sicher die schwierigsten Lernprozesse im Umgang mit meiner Migräne.
Wie beeinträchtigt Dich die Migräne im Beruf und in der Freizeit?
Massiv. Anfänglich war es mir oft peinlich, wenn ich im Unterricht den „Faden verlor“, nicht mehr wusste, worüber ich gerade eben gesprochen hatte. Auch, wenn ich die Namen meiner Schüler:innen nicht mehr wusste oder sie verwechselte, schämte ich mich sehr. Inzwischen thematisiere ich meine Krankheit und meine Schüler:innen wissen dann schon, was Sache ist. Schwieriger ist es in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Bergrettungsdienst. Oft fehlt hier das Verständnis für „nicht-sichtbare“ Krankheiten völlig.
Was hilft Dir im Umgang mit der Migräne?
Mir hilft es ganz bewusst Zeiten für mich einzuplanen. Zum Nähen beispielsweise, eine Beschäftigung, die mich extrem entspannt, weil ich gefühlt mein Gehirn „ausschalten“ kann. Generell hilft mir alles, was mein Gehirn etwas „herunterfahren“ lässt. Auch Schwimmen oder leichtes Wandern oder Radfahren. Ich benötige allerdings insbesondere aktuell auch einen sehr strukturierten und klaren Tagesablauf. Unvorhergesehene oder ungeplante Ereignisse sind für mich aktuell nur schwer zu bewältigen. Das ist aber auch je nach Phase unterschiedlich. Da versuche ich mir auch eine gewisse Gelassenheit anzugewöhnen, nach dem Motto „es war nicht immer so schlimm und es wird auch nicht immer so schlimm sein“.
Wie hat Dein Umfeld auf Deine Migräne reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?
Sehr unterschiedlich. Meine Familie unterstützt mich ganz massiv, auch mein Freundeskreis versucht die Erkrankung zu verstehen und mich zu unterstützen, wo es geht. Wobei ich da besonders in den letzteb 2 Jahren sehr schmerzhaft lernen musste, dass nicht alle Menschen eine solche Erkrankung hinnehmen können bzw. Verständnis dafür aufbringen. Da sind schon auch immer wieder Freundschaften zerbrochen. Meine Schüler:innen sind sogar richtig vorbildlich. An Tagen, an denen ich im Unterricht eine Attacke bekomme oder merke, dass sich etwas anbahnt, geben sich die meisten wirklich sehr viel Mühe ruhiger zu sein als sonst. Das rechne ich ihnen schon sehr hoch an.
Was hilft Dir im Migräne Anfall?
Ruhe. Kaltes Cola. Kühle, dunkle Räume und möglichst frische Luft. Aber eigentlich nichts so richtig. Ich muss immer sehr darauf achten, die Migräne schon abzufangen, wenn sie sich auch nur leise ankündigt. Ich hatte zwar ein Triptan, das ganz gut wirkte, das habe ich aber nicht wirklich gut vertragen.
Was hast Du schon ausprobiert und was möchtest Du noch ausprobieren?
Ich habe in den letzten 10 Jahren schob zahlreiche Therapien verschiedenster Art durchlaufen. Auch diverse Prophylaxen inklusive der Antikörperspritzen. Meist zeigte sich eine mittelfristige Besserung und Reduktion der Migräne, die Wirkung ist dann aber mit der Zeit wieder verschwunden. Meist waren diese Besserungen jedoch zumindest von so langer Dauer, dass sie mir eine Verschnaufpause ermöglicht haben. Daneben habe ich diverse nicht-medikamentöse Therapien ausprobiert. Am besten hat mir da ein Chiropraktiker helfen können.
Was möchtest Du Migräne-Kämpfer:innen sagen?
Es ist eine großartige Leistung, den Alltag mit Migräne zu bewältigen, das wird viel zu oft vergessen oder herunter gespielt. Migräne ist eben nicht nur eine Krankheit, von der man sich mal eben erholt und dann ist wieder alles gut. Für mich persönlich war es besonders wichtig zu erkennen, wieviel ich TROTZ der Migräne leiste – auch wenn das nur selten gewürdigt wird.
Was möchtest Du Menschen ohne Migräne sagen?
Vielleicht das ganz simple Prinzio, nicht über andere und ihre Lebenssituation zu urteilen, insbesondere wenn man sie nicht nachempfinden kann.
Hast Du ein Lebensmotto, einen Spruch, der Dir Kraft gibt?
Genieße das Leben – auch wenn es mir manchmal schwer fällt und auch wenn es mir manchmal fast ein bisschen zynisch vorkommt.
Gibt es etwas, dass Du auch noch erzählen möchtest?
Eine Psychologin hat mir einmal erklärt, das Migränehirn ist wie ein Ferrari, unglaublich leistungsstark, aber man muss es fahren können. Das hat mir sehr geholfen. Ich hatte oft das Gefühl, ich leiste nicht genug bzw. ich würde ohne Migrane viel mehr können – stimmt vermutlich auch. Aber mein Gehirn wäre dann vermutlich auch kein Ferrari mehr. 🙂 Ich versuche, dir Migräne inzwischen sehr bewusst zu leben. Ich lasse mich zu nichts mehr zwingen oder überreden. Wenn etwas nicht geht, geht es nicht – es war aber auch kein einfacher Prozess, an diesen Punkt zu kommen und eine gewisse Gelassenheit zu er langen (ich hatte zeitweise schon auch meine Probleme mit fomo – fear of missing out).