Wer bist Du und was machst Du?
Hey, ich bin Celine, 33 Jahre alt und komme aus Essen. Ursprünglich aus dem Bergischen Land, berufsbedingt dann ins Ruhrgebiet gezogen. Meine Familie und Freunde beschreiben mich als liebevoll, hilfsbereit und etwas durchgeknallt. Sensibel kann ich aber auch (manchmal reicht auch eine Merci Werbung im TV um mich zum Weinen zu bringen)! Nach dem Abi hab ich kurz fürs Fernsehen gejobbt, dann aber eine kaufmännische Ausbildung begonnen und bin dort hängengeblieben. Ich bin gelernte Bankkauffrau, arbeite mittlerweile aber im internen Bereich einer Bank. [Instagram: lobbyversum]
Wie lange hast Du schon Migräne? Wann fing das an, gab es eine bestimmte Situation an die Du Dich erinnerst?
Migräne begleitet mich schon viele Jahre. Allerdings wurde die richtige Diagnose dann erst 2017 über meine Neurologin gestellt, da ich selbst vorher nicht wirklich wusste, was ich genau habe. Ich wusste nur, dass es eben sehr starke Kopfschmerzen waren, die einem Schlaganfall ähnelten und es machte mir mit jeder weiteren Migräneattacke mehr Angst. Es war so schlimm, dass ich dachte, ich falle gleich tot um. Zu meinen Anfällen kam auch jedes Mal ein „Knackgeräusch“ im Ohr. Allerdings dachte ich damals, es sei durch zu viel Stress und andere Vorerkrankungen und erwähnte es nie groß beim Hausarzt. Besonders prägend war für mich eine Situation auf der Arbeit. Dort konnte ich nichts mehr sehen und rannte einen Kollegen um, erschrak mich total, weil er direkt neben mir stand, ohne das ich ihn bemerkt hatte. Von dort bin ich sofort weinend mit Unterstützung zum Augenarzt, der dann nach der Untersuchung meinte: ,,Ihre Augen sind ok, Sie haben bestimmt „nur“ Migräne.“ Er gab mir den Hinweis, mich neurologisch untersuchen zu lassen, schrieb mich für 2 Tage krank und so kam ich das erste mal mit meiner Neurologin in Kontakt. Migräne kannte ich damals nur als „man hat eben starke Kopfschmerzen“, hatte mich aber nie groß mit dem Thema befasst. Heute weiß ich, dass ich schon viele Jahre unter Migräne gelitten habe, ohne es zu wissen.
Welche Migräneform(en) hast Du und wie äußert sie sich?
Ich habe Migräne zu 90% mit Aura, selten ohne. Es kommt aber mittlerweile vor, dass ich nicht mehr komplett erblinde, was für mich eine deutliche Verbesserung darstellt. Bevor eine Migräneattacke wirklich durchbricht, bemerkt mein Umfeld (mein Mann vor allem), dass ich mich verändere. Meistens habe ich einen Tag vorher bereits eine unerklärliche Übelkeit, bin extrem geruchs- und geräuschempfindlich und habe ein vermehrtes Bedürfnis nach „Abschottung“ und „Alleinsein“. Ich vertrage dann auch keinen Kaffee mehr. Vor der Attacke selbst empfinde ich bereits einen Druck in der rechten Augenhöhle und fasse mir instinktiv oft von außen an mein Auge. Auch verzieht sich mein Gesicht schräg runter und man sieht mir die Migräne optisch an. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch keine Schmerzen, allerdings ist das der Moment, indem ich -laut Absprache und Erfahrung mit meiner Neurologin- das Triptan einsetzen sollte. Wenn die Migräne richtig durchbricht, gesellen sich Erbrechen, Wahrnehmungsstörungen, Lallen und extreme Panik dazu. Am liebsten würde ich jedesmal meinen Kopf irgendwo vorhauen, um den Druck loszuwerden. Ich bin dann sehr hilflos und muss mich sofort mit Kühlakku , Schlafmaske und Ohrstöpseln ins Bett legen. Ich bin dann für Stunden nicht mehr in der Lage irgendwas anderes zu tun. Oft weine ich extrem viel, was es nicht besser macht. Dieses Gefühl des Kontrollverlustes und der Erblindung erzeugen große Panik in meinem Inneren, auch wenn mein Verstand mittlerweile weiß, dass ich irgendwann wieder da raus komme. Die Stunden während einer Attacke rauben mir unfassbar viel Kraft.
Wie heißt Deine Migräne?
Ich habe ihr keinen Namen gegeben 🙂
Wie geht es Dir heute und wie hat sich Dein Umgang damit verändert?
Seit ich durch meine Neurologin und auch die TCM Klinik unterstützt werde und meine Migräne damals neurologisch diagnostiziert wurde, Hirnströme gemessen wurden, ich mich nicht mehr fragen musste, was da nicht stimmt, geht es mir besser. Natürlich belastet mich die Migräne, weil sie null planbar ist und ich bereits auf viele Dinge verzichten musste. Die Hoffnung, dass sie irgendwann geheilt werden kann, habe ich ganz tief in mir verankert. Nur so schaffe ich es durch eine akute Migräneattacke. Meine Schmerzen sind so intensiv, dass ich manchmal schwer einschätzen kann, ob es noch die Migräne ist , oder eventuell doch ein Schlaganfall. Diese Angst macht was mit mir – das kann ich auch nicht schön reden. Allerdings habe ich mit den Jahren immer mehr Erfahrungen gesammelt, mich in das Thema eingelesen, Dinge verändert, achte z.B. auf einen geregelten Tagesablauf / Schlafrhyhtmus / keinen Alkohol (bis auf wenige Ausnahmen -Hochzeiten und Co). Ich habe die Migräne angenommen und sie somit in mein Leben gelassen. Sie nicht mehr zu ignorieren macht es deutlich einfacher im gesamten Umgang mit ihr.
Wie beeinträchtigt Dich die Migräne im Beruf und in der Freizeit?
Da ich hauptsächlich mit zwei Bildschirmen arbeite, mich zudem sehr konzentrieren muss, ist die Migräne mit Aura für mich eine sehr große Beeinträchtigung. Es kam daher leider schon zu vielen Fehlzeiten. Da ich aber immer offen darüber gesprochen habe, dass ich Migräne habe und was dann körperlich bei mir passiert, habe ich seitens des Arbeitgebers Rückendeckung. Anders ginge es auch nicht. Besonders wegen der Aura muss ich mich dann sofort nach Hause begeben (es kam auch schon vor, dass mich Arbeitskollegen ins Taxi gesetzt haben). Wie bei vielen anderen Migräne Betroffenen, sind im laufe der Jahre schon viele Freizeitaktivitäten auf der Strecke geblieben. Konzerte, Partys, Ausflüge, Wochenendtrips (Ibiza vor Corona) sogar mein eigener Junggesellinnenabschied musste verschoben werden. Migräne kommt gerne dann, wenn wir sie nicht brauchen. Daher kann auch ich mittlerweile ein Buch drüber schreiben.
Was hilft Dir im Umgang mit der Migräne?
Persönlich habe ich -so gut es eben geht- versucht, die Migräne zu akzeptieren. Viele Dinge habe ich seitdem ausprobiert, Buch geführt über mögliche Trigger, Essgewohnheiten studiert, viel aufgeschrieben um zu verstehen, was da vor sich geht. Ich halte mich an Ankerpunkte wie: tägliche Meditation, Ausdauertraining, mentale Gesundheit, feste Schlafenszeiten (auch am Wochenende) , Dinge offen anzusprechen, Stress zu vermeiden und solche Dinge. Ich hole mir ärztliche Hilfe und bin im monatlichen Austausch mit meiner Neurologin. Die Migräne nicht als Feindin zu sehen, sondern als Warnsignal, wenn mein Leben zu stressig wird und der Austausch z.B. über Instagram hilft mir sehr.
Wie hat Dein Umfeld auf Deine Migräne reagiert und wie reagieren heute noch Menschen, denen Du davon erzählst?
Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Da ich viele Jahre versucht habe, besonders auf der Arbeit nicht negativ aufzufallen, war es anfangs sehr schwer hier Verständnis zu bekommen. Sprüche wie „ja aber Kopfschmerzen hat doch jeder mal, hast nur kein Bock zu arbeiten. Mmmh. Klar, 2 Tage fehlen dann gehts wieder. Jaja!“ waren nicht selten. Meine Migräne ist meistens 2 Tage extrem, den 3. Tag schaffe ich mit Schmerzmitteln dann schon wieder. Verabredungen, die ich kurzfristig (auch nur 1 Std vorher) absagen musste, wurden dann irgendwann als persönlichen Angriff und „Ach, lässt dein Mann dich dieses We nicht alleine raus?“ abgetan. Ich habe leider sehr sehr verletzende Zeiten hinter mir, weil Migräne immer als Ausrede gesehen wurde und nur meine Familie mitbekommen hat, wie schlecht es mir ging. Ich glaube, Menschen die keine persönlichen Erfahrungen damit haben, können überhaupt nicht verstehen, was wir durchmachen und wie sehr man alles versucht, um zu funktionieren. Dank meinem -noch sehr frischen- Instagram Account und meiner Offenheit zu dem Thema, hat sich einiges im Umfeld verändert. Dies zeigt einfach wieder, wie wenig Migräne tatsächlich medial anerkannt wird.
Was hilft Dir im Migräne Anfall?
Im akuten Migräne-Anfall helfen mit nur noch Triptan, Schmerzmittel, Kühlpad in der Schlafmaske, Fenster auf (frische Luft) und absolute Ruhe und Abschirmen (Ohrstöpsel). Gegen die Übelkeit habe ich MCP Tropfen und trinke Pfefferminztee, den ich sonst überhaupt nicht mag. Ansonsten, nur Ruhe, Schlafen und warten, dass es vorbei geht.
Was hast Du schon ausprobiert und was möchtest Du noch ausprobieren?
Ich habe bereits 2 Prophylaxen über meine Neurologin über mehrere Monate ausprobiert. Auch der beliebte Betablocker war dabei, der mir mehr geschadet hat als geholfen. Aktuell bin ich in einer Auslassphase und gehe den Weg über die TCM Klinik (traditionelle chinesische Medizin). Hier bekomme ich wöchentliche Spritzen in Störfelder wie „Schilddrüse, Nabel, Schambein, so wie Stirnbereich und Augen“ – meine Migräne hat sich verändert. Das bemerke ich schon, woran genau das liegt, weiß ich aktuell noch nicht. Daher bleibe ich offen und hoffe, dass es irgendwann etwas gibt, was dauerhaft gegen Migräne hilft. Für den Herbst ist geplant, eine stationäre Behandlung in der TCM Klinik durchzuführen. Hierüber habe ich schon viel positives gehört und auch Patienten kennengelernt. Aber wie gesagt, ich probiere viel, warte aber erst mal ab.
Was möchtest Du Migräne-Kämpfer:innen sagen?
Du bist nicht alleine. Schäme dich nicht für deine Erkrankung und sei nicht zu hart zu dir. Niemand sucht sich eine Migräne als Ausrede aus. Die Menschen, denen du wichtig bist, lieben dich auch trotz aller Absagen und bleiben an deiner Seite. Auch nach 20 Absagen werden sie anrufen! Auf den Rest der „Freunde“ kannst zu verzichten! Ciao Kakao
Was möchtest Du Menschen ohne Migräne sagen?
Seid liebevoller zu Menschen, wenn sie sich abmelden wegen Migräne. Sagt Betroffenen, dass es nichts an der Person ändert, dass ihr dann das nächste mal trotzdem wieder nach einem Date fragen werdet! Fragt, ob ihr helfen könnt (Einkauf übernehmen, Kind abholen, Termin/Aufgaben übernehmen). Nehmt eine Absage nicht als persönlichen Angriff, oft liegt hier schon einige Zeit des Haderns hinter der Migräneperson bis sie final absagt.
Hast Du ein Lebensmotto, einen Spruch, der Dir Kraft gibt?
•Gehe erstmal in meinen Schuhen, dann unterhalten wir uns noch mal!• •Überlege dir gut, wessen Rat du annimmst!• •Ich bin stärker, als ich glaube• •Ich bin soviel mehr als meine Erkrankung•
Gibt es etwas, dass Du auch noch erzählen möchtest?
Nach einer Krebserkrankung und einer Hirntumor Op ist mir die Migräne als Dauerbegleitung geblieben. Anfangs verflucht, schickt sie mir doch immer wieder wichtige Warnsignale. Durch die Migräne habe ich gelernt, mehr auf meinen Körper zu achten. Ich umgebe mich nur noch mit Menschen, die diese Erkrankung ernst nehmen. Ich rechtfertigte mich vor niemandem mehr dafür, dass ich wegen Migräne ausfalle.